Leider bin ich
eher Fliege als Wespe:
Immer wieder stoße ich
mit dem Kopf gegen das
geschlossene Fenster,
wohingegen die Wespe
nach ein, zwei Fehlversuchen
durch die offene Tür
wieder ins Freie fliegt.
Leben, Überleben
und staune!
schau
ins Blau
von Himmel und Meer
schau – und staune:
wie schön ist die Welt!
lausch
dem Plausch
von Wellen und Wind
schau, lausch – und staune:
wie leicht ist die Welt!
tauch
ein in den Bauch
von Leben und Glück
tauch ein – und saug auf
das Leben, das Glück:
schau, lausch – und staune!
Memoria
Ich habe mir
einen Namen gegeben,
damit ich mich
an mich erinnere.
Nun habe ich
meinen Namen
vergessen.
Dunkel
Mir ist es
nicht hell genug,
und ich mache
das Licht aus.
Dieses Textchen ist gerade entstanden aus einer ganz banalen Alltagssituation heraus – aber die Sache selbst hat Potential für mehr, denke ich.
alles über
für C.
die Ansprüche überhöht
die Erwartungen übermächtig
der Kalender überfüllt
der Geist überlastet
die Seele überladen
der Mensch überfordert
vom Glück übersprungen
vom Wohl übergangen
vom Feind überboten
vom Freund überflügelt
vom Leben überholt
den Erfolg überbewertet
die Arbeit überdosiert
der Mensch überarbeitet
schließlich völlig übermüdet
immer überreizt
Urlaub überfällig
du überreif für die Insel
die Übergriffe nehmen überhand:
gerade nur so überleben
des Lebens überdrüssig
du hast es alles
über
Ungewissheit
Ungewissheit
behält jedweden Namen
für sich.
Namenlos aber
bleiben wir
in der Schwebe:
Wir können es nicht denken.
Wir können nicht darüber reden.
Wir können nichts tun.
Immerhin, das
ist gewiss und
hat einen Namen:
Ungewissheit.
Schlag auf Schlag
Ihr habt mich geschlagen
– Schlag auf Schlag –
mit Euren Stockschlägen
auf Haut und Herz.
Ihr habt mich geschlagen
– Schlag auf Schlag –
mit Euren Ratschlägen
für meine Wunden.
Ihr habt mich geschlagen
– Schlag auf Schlag –
mit Euren Umschlägen
auf meine Narben.
Ihr habt mich geschlagen
– Schlag auf Schlag –
mit Euren Vorschlägen
für meinen Schmerz.
Ihr habt mich geschlagen
– Schlag auf Schlag –
mit Euren Anschlägen
auf meinen Leib und auf mein Leben,
mit Euren Querschlägen
gegen alles, was mir lieb ist.
Frieden ist Frieden
“Krieg ist Terror mit höherem Budget” – so titelt die ‘graswurzelrevolution’ in ihrer aktuellen Ausgabe (GWR 405, Januar 2016). Dieser Satz ist die Keimzelle für das folgende Gedicht (möglicherweise noch nicht ganz zu Ende gedacht).
Krieg ist Terror
mit höherem Budget.
Frieden ist Frieden,
unbezahlbar.
Krieg ist Terror
mit ökonomischem Gewinn.
Frieden ist Frieden,
wunderbar unrentabel.
Krieg ist Terror
mit parlamentarischer Legitimation.
Frieden ist Frieden,
herrschafts- und gewaltfrei.
Was mich jetzt doch noch sehr freut: Dieses Gedicht wird im Editorial der neuen Ausgabe der ‘graswurzelrevolution’ (GWR 406, Februar 2016) in voller Länge zitiert – und mein Schlussvers wird als Titel für den Editorial verwendet. Die Herausgeber hatten mein Gedicht zufällig gefunden… und sich darüber gefreut. Wie schön!
Vergebliche Liebesmüh
Ich hab’ Pferde gestohlen
und Schafe gezählt,
Flöhe gehütet und
Mäuse gemolken.
Ich hab’ mir Bären aufbinden lassen
und mich zum Affen gemacht.
Alles für die Katz.
So geh’ ich vor die Hunde, doch
kein Schwein interessiert’s,
kein Hahn kräht danach.
Hälfte des Lebens
(Optimistische Varianten)
Gut die Hälfte meines Lebens
habe ich damit vertan, auf das Leben
zu warten.
Bleibt mir nun noch gut eine Hälfte,
in der ich die Wartezeit dazu nutzen kann
zu leben.
*
Gut die Hälfte meines Lebens
habe ich vom Leben nur
geträumt.
Bleibt mir nun noch gut eine Hälfte,
um den Traum, der Leben heißt,
zu leben.
*
Gut die Hälfte meines Lebens
habe ich mein Leben
nur gespielt.
Bleibt mir nun noch gut eine Hälfte,
um ernsthaft mein Leben
zu leben.
Hälfte des Lebens
(Pessimistische Variante)
Gut die Hälfte meines Lebens
habe ich geduldig auf das Leben
gewartet.
Bleibt mir nun noch gut eine Hälfte,
um ebenso geduldig auf den Tod
zu warten.
Dezember. Ein elegischer Walzer
Lyrifants Adventskalender 2023 Türchen 5
Wann hat der Dezember den Zauber verloren,
der uns aus der Kindheit so lieb und vertraut?
Wann sind uns die Herzen und Augen erfroren,
mit denen wir Wunder auf Wunder geschaut?
Wohin sind die Freuden des Winters verschwunden:
das Schneeflockenglück und der Eisblumentraum?
Wohin ist der Duft, dem wir so verbunden,
von Bienenwachskerzen und Tannenbaum?
Wohin ist im Herzen die Wärme der Lichter,
die Stille am See und der Friede im Wald?
Wohin sind die strahlend verzückten Gesichter,
wenn läutet des Christkindes Glöckchen schon bald?
Wann haben wir Eile statt Ruhe erkoren?
Wann ließen wir zu, dass die Zeit so verrinnt?
Wann hat der Dezember den Zauber verloren?
Jemals mehr wieder ihn niemand gewinnt.
Dieses Gedicht wurde (als vorletzter Beitrag) gesendet beim hr2-Lyrikfrühstück zum 4. Advent am 18. Dezember 2016; auf die Homepage der ausgewählten Beiträge hat mein Text es allerdings leider nicht geschafft.