ihre Namen

Vergangenen Sonntag hatte ich die Gelegenheit, im Staatstheater Wiesbaden das Stück „an grenzen“ von Özlem Özgül Dündar zu sehen – ein Stück, das mit großer sprachlicher Sensibilität nicht nur ein Stück Migrant:innengeschichte in Deutschland beleuchtet, sondern auch der Opfer von rechter Gewalt insgesamt gedenkt – und dabei versucht, Möglichkeiten eines neuen Miteinanders auszuloten. Als Hörpiel ist der Text (wenn auch in einer anderen Fassung) in der WDR-Mediathek abrufbar. Unter dem Eindruck dieses Theaterstücks ist nun mein Text entstanden.


wir sagen ihre Namen
um an sie zu erinnern
wir sagen ihre Namen
um ihrer zu gedenken
wir sagen ihre Namen
um sie uns einzuprägen
wir sagen ihre Namen
um sie in uns zu bewahren
wir sagen ihre Namen
um uns selbst zu ermahnen
wir sagen ihre Namen
um es nie wieder zu vergessen
wir sagen ihre Namen
und wir vergessen nicht die Namenlosen
wir sagen ihre Namen
und wir vergessen nicht den Ort und die Zeit
wir sagen ihre Namen
wir sagen ihre Namen

ach, hätten wir doch ihre Namen
noch zu ihren Lebzeiten
schon zu ihnen gesagt

mein erstes Bad in diesem Jahr

es war mein erstes Bad in diesem Jahr:
der See war blau; und alle Wassertiere waren da
(ihr Dasein war ein stummer Gruß an mich, gewiss):
Herr und Frau Haubentaucher badeten mit mir;
ein Stockentenpaar schwamm etwas abseits;
der Graureiher segelte über mich hinweg;
und das Wasserschlänglein kreuzte meine Bahn –
nur die alte Schildkröte hielt sich im Schilf versteckt;
und auch die Blässhühner waren ungewöhnlich still.

vor allem aber fehltest Du, mein Liebster, mir
zum vollen Glück! denn ohne Dich
ist all das doch nur halb so schön!

Du. Ortungen

Du bist bei mir,
wenn ich neben mir bin

Du bist neben mir,
wenn ich außer mir bin

Du bist mit mir,
wenn ich von mir geh

Du bist hinter mir,
wenn alle gegen mich sind

Du bist vor mir,
wenn ich an mir vergeh

Du bist unter mir,
wenn ich zwischen mir steh

Du bist über mir,
wenn ich mich um mich dreh

Du bist in mir,
wenn ich aus mir verschwind

Du bist um mich,
wenn ich durch dich mich find

Dich sehen

was sehe ich, wenn
ich Dich sehe?

wirklich Dich oder nur
(m)ein Bild von Dir?

wirklich Dich oder nur
(D)ein Bild für mich?

wirklich Dich oder nur
mich in Deiner Gestalt?

wirklich Dich oder nur
Dich in meiner Gestalt?

wirklich Dich oder nur
meine Wünsche an Dich?

wirklich Dich oder nur
Deine Wünsche an mich?

was sehe ich, wenn
ich Dich sehe: wirklich Dich?

und bin es wirklich ich, die
Dich sieht?

Das schlecht temperierte Exil

Ein kleines Gedicht zu Deinen 40 Jahren Exil in Deutschland (ganz ohne Bach und ohne Klavier)

Du kamst aus voller Wärme
in eisige Kälte: Ankunft in Berlin (West)
bei minus 20 Grad.

Inzwischen sind die Winter hier
(wie auch die Sommer)
deutlich wärmer geworden.

Doch wie viel Liebe ich auch versuche
Dir zu geben: Im Exil wird’s leider
nie so richtig warm.

für mein Leben gern

was ich für mein Leben gern hätte:
ein Fenster mit Ausblick auf die Elefanten
und natürlich ein Flusspferd im Haus
und einen See vor dem Haus
oder zumindest in der Nähe
(für das Flusspferd, die Elefanten und mich)
und einen Menschen, mit dem ich
dieses Leben (und das Flusspferd
und den Ausblick auf die Elefanten
und den See) teilen kann

was ich habe: einen Menschen, der
mit mir sein Leben teilt und mit dem ich
meine verrückten Fantasien teilen darf
(und ich hab ihn für mein Leben gern)