Afghanistan. Aporie des Helfens

ihnen dabei helfen, das Land
zu verlassen, heißt:
ihnen dabei helfen, weiter
zu leben

heißt aber leider auch:
ihnen dabei helfen, ins Exil
zu gehen – ist das nicht auch
eine Art Tod?

dennoch:
ihnen dabei helfen, dem Tod
(dem einen) zu entkommen, ist
das Mindeste, was wir tun müssen

das nahezu Unmögliche aber:
ihnen dabei helfen, den Tod
(den anderen) zu ertragen

dieses Gefühl der Geborgenheit

es ist das Privileg der Liebenden,
die zufällig hier geboren sind:
ich genieße es Tag für Tag,
mich geborgen zu fühlen
in Deiner Nähe

es ist der Fluch der Liebenden,
die hier im Exil leben müssen:
ich werde Dir nie – das weiß ich –
so nah sein können, dass Du
Dich geborgen fühlen wirst
in meiner Nähe

wie verwegen doch dieses Gefühl
der Geborgenheit ist, das mir die Nähe
des Ungeborgenen zu schenken vermag –
und wie vermessen letztlich mein Wunsch:
zu hoffen, ich könnte Dir etwas davon zurückgeben

Turmgedicht

für Friedrich Hölderlin

getürmt
lebt es sich
höher, freier auch

Darf, wenn lauter Mühe das Leben, ein Mensch aufschauen und sagen: so will ich auch seyn? Ja.

aus dem Turmtief, das
heilignah den Wassern,
steigt auf der Geist
aetherwaerts

noch ist Bewegung:
aus jeder Stufe, jedem Stein
türmeln die Verse, turmschief
vielleicht, ins Turmhohe dennoch

der Turm, ein Verlies, ein Refugium –
hier ist der Dichter
endlich allein, ganz bei sich,
einsam zwar, doch das ist der Preis:
Leben ist Tod, und Tod ist auch ein Leben.

Gedanken anlässlich der Wiedereröffnung des Hölderlinturms in Tübingen zum Auftakt des Hölderlinjahres. Mit Zeilen aus ‘In lieblicher Bläue’ (1808).

Asyl

mein Herz
hab ich für Dich
schön heimelig gemacht:
zwei Zimmer, Küche, Bad, Balkon,
mit Himmelbett und Schreibetisch
und einer Laube für uns zwei

Du trittst ein, und ja, Du freust Dich,
und doch, ganz insgeheim, vermisst Du
den großen Garten Deiner Kindertage
und die Veranda rings ums Haus, und
Dir fehlt die Wärme, nicht nur des
Korsi

 

Adieu, gnas barov!*

Nachruf auf Charles Aznavourian

Je vous parle d’un temps,
von einer Zeit, die nun für immer ist
Vergangenheit, von Künstlerglück, das
nie mehr kommt zurück:
La bohème, la bohème
Ça voulait dire on est heureux.

Je vous parle d’un homme,
von einem Menschen, der klein war, arm und
fremd, einem Menschen, der wurde groß und reich
zwar, doch heimisch nie:
La bohème, la bohème
Ça ne veut plus rien dire du tout.

Je vous parle d’une voix,
von einer Stimme, die nun für immer ist
verklungen, die war von dieser tiefen Traurigkeit, die
glücklich machen kann. Verstummt sie ist für immer,
wie ungern lass ich sie doch gehn.

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=A314PVRSQIM&w=560&h=315]

*armenisch: ‘mach’s gut’ (ich hoffe, dass es richtig ist, denn ich kann leider kein Wort Armenisch).

Verwandtschaften

Auch wenn Du es nicht weißt –
Du spürst es:
Elend und Anderland
sind ein und dasselbe Wort.
Und Exil ist Umhergeirr,
im Aus.

Auch wenn Du es nicht weißt –
Du ahnst es doch:
Wer fremd ist,
ist einer von Fort-von
und nicht von Hin-zu
oder gar von Inmitten.

Du hast geglaubt:
Asyl, das sei
ein Unraub-Raum, wo
niemand Dir von Dir was nimmt.

Und jetzt denkst Du, dass
Flucht und Fluch Verwandte sind –
sie sind es nicht im Gegensatz zu uns
(was wir nur vergessen haben),
sind In- und Ausland doch dasselbe.