da haben sie dich heimgesucht,
haben dir heimgeleuchtet, dir heimgegeigt
da haben sie es dir heimgezahlt,
lassen dich endlich heimgehen und heimholen
doch noch immer – so wundern sie sich –
fühlst du dich bei ihnen
nicht daheim
da haben sie dich heimgesucht,
haben dir heimgeleuchtet, dir heimgegeigt
da haben sie es dir heimgezahlt,
lassen dich endlich heimgehen und heimholen
doch noch immer – so wundern sie sich –
fühlst du dich bei ihnen
nicht daheim
wir weinten mit
Paris
wir weinen nun mit
Brüssel
wir weinten auch mit
New York
Madrid
London
und Moskau
und wir weinen nun auch mit
Ankara
und Istanbul
lasst uns auch weinen mit
Aleppo
Asadabad
Bagdad
Basra
Beirut
Damaskus
Erbil
Falludscha
Haditha
Homs
Iskandarija
Kabul
Kandahar
Kano
Kerbela
Kobane
Madagali
Maiduguri
Mogadishu
Mossul
Potiskum
Suruç
Takrit
Tel Tamer
Zabarmari
und all den anderen
allzu rasch wieder vergessenen
Opfern von Terror und Krieg
Die Angst brütet blutend
ihre kotigen Kinder aus.
Die Verzweiflung nimmt
sie in ihre nasse Obhut.
Der Mut blieb zurück
in den bitter tränenden
Maschen des Grenzzauns.
Im dreckigen Schlamm
versinkt die dünne Spur
der Hoffnung.
“Herzlich Willkommen!”
rufen wir euch zu
und machen euch zur neuen Währung in der EU.
Wer vollmundig
Brandanschläge gegen Asylheime verurteilt,
aber nur halbherzig
das Herz hat, die Brandstifter zu verfolgen –
Wer doppelzüngig
die Willkommenskultur feiert
und dabei engstirnig
die Stirn hat, die Grenzen zu schließen –
Wer pausbäckig und rotwangig
Europas Werte verteidigt
und großmäulig und breitbeinig
ein Integrationspflichtgesetz einfordert,
aber hochnäsig
über die Schutzsuchenden die Nase rümpft
und dickköpfig
nur Obergrenzen im Kopf hat –
der tritt leichtfüßig
des Menschen Recht mit Füßen,
der wirkt eigenhändig
der neuen Rechten in die Hände,
der läuft blauäugig
dem Abgrund ins Auge.
Dünnhäutig, wie ich bin,
habe ich nun
nur noch eine Bitte:
Bleibt feinfühlig,
hellhörig und
weitsichtig.
Nicht eigens dafür geschrieben, aber sicher auch ein Beitrag, der gut in das Projekt “Gegen das Vergessen” passt. Die anderen Beiträge zu diesem Projekt habe ich verlinkt unter meinem ersten Beitrag “gegen das vergessen”.
“Herzlich willkommen!”
rufen wir euch zu
und erklären euch den Krieg.
“Herzlich willkommen!”
rufen wir euch zu
und schränken den Familiennachzug ein.
“Herzlich willkommen!”
rufen wir euch zu
und erklären eure Heimat zum sicheren Herkunftsland.
Wo aus einem “Willkommen!”
ein “Willgehen”, will heißen:
ein “Ich will, dass sie gehen” wird.
Wo man statt freundlich “Herein!”
feindselig “Raus!” ruft.
Wo der Einladung
schon bald die Ausweisung folgt.
Wo man den herzlichen Empfang
zu einer herzlosen Gefangennahme machen will.
Wo man statt eines Obdachs
eins auf’s Dach bekommt.
Wo man statt einer Herberge
nur ein “Hinweg!” findet.
Wo sich die Begrüßung
in eine Verabschiedung,
in eine Verabschiebung verkehrt.
Dort ist nicht “Die Welt
zu Gast bei Freunden”.
Dort sind arme Menschen
Fremde unter Feinden.
“Herzlich willkommen!”
rufen wir euch zu
und diskutieren über Transitzonen.
“Herzlich willkommen!”
rufen wir euch zu
und beschleunigen die Abschiebeverfahren.
Neue Wurzeln
wollte ich Dir geben
in meiner Erde.
Meine Erde aber hat
Deine Wurzeln
nicht aufgenommen.
Meine Erde hat dafür
meine Wurzeln
abgestoßen.
So hängen nun
Deine Wurzeln und
meine Wurzeln
in der Luft –
frei von Deiner Erde,
frei von meiner Erde.
So sind nun
Deine Wurzeln und
meine Wurzeln
Luftwurzeln,
die Halt finden,
indem sie einander umschlingen.
Inspiriert ist dieses Gedicht von der Bezeichnung “LuftwurzelLiteratur”, in die der sujet-Verlag die Exil-Literatur programmatisch umbenannt hat – ein Wort, das mich unmittelbar angesprungen hat, auch wenn es erst noch etwas in mir arbeiten musste, bis ich zu diesem Gedicht fand.