neben der Spur
ist aller Raum der Welt
für eigene Wege
Leben, Überleben
EigenSinn
ist es nicht ebenso sinnig wie eigen,
dass uns Eigensinn nur sinnig erscheint,
solange es unser eigener ist?
Tomintoul (aged 16 years)
leicht steigt der Nebel hoch
mir in den Kopf: komm, zeig mir
dein goldenes Licht! ich steh
am Rand der Klippe und denke
“ich kann fliegen”
und lasse mich
fallen
das erste Wort
ins Schweigen schreiben
das erste Wort, um Wort für Wort
ins Schreiben mich zu schweigen
hoffen
ins Sprachlose
ein Wort pflanzen:
hoffen, dass es wächst
über das wunde Stumm hinaus
Wo Gefahr ist …
Wo Gefahr ist, sang Hölderlin einst,
wächst das Rettende auch.
Und wo Rettung naht, so seh ich heut,
baut Gefahr sich auf.
Schneeregen
wenn Regentropfen
zu Schneeflocken werden:
kälter wird es, nass bleibt es –
aber sie fallen jetzt nicht mehr
nur einfach zu Boden (wo sie
sich auflösen in nasses Nichts),
nein, sie steigen voll Übermut
zuerst noch einmal hoch
in die Luft
Warten auf den Schnee
und wieder heißt es:
Warten auf den Schnee, der
dann doch wieder nicht kommen
wird, der zwar immer wieder vorher-
gesagt wird, aber dann doch nicht
kommt, der immer nur anderswo
fällt, aber nie hier, wo ich warte:
Warten auf den Schnee, der
dann doch wieder nicht kommen
wird, so wie das große Glück, das
auch nicht kommt, nie kommen wird
und auf das ich auch immer schon
vergeblich warte
sprich mir nicht von Schnee
Lyrifants Adventskalender 2023 Türchen 16
sprich mir nicht von Schnee
an diesem schneelosen Ort:
schweig dichte lichte Flocken
mir in mein stummes Wort
sprich mir nicht von Klee
in dieser kleelosen Zeit:
sing neue scheue Triebe
mir in mein dürres Wort
sprich mir nicht von See
an diesem seelosen Ort:
schreib wilde milde Wellen
mir in mein wundes Wort
die Eisblumen
Lyrifants Adventskalender 2023 Türchen 7
eine etwas melancholische Replik auf Ules fantastische Eisblumen-Bilder
die Eisblumen:
in der Blüte des Lebens
erinnern sie uns
an die Starre des Todes
an die Blüte des Lebens
erinnern sie uns
in der Starre des Todes:
die Eisblumen
Große Konjunktion
wer voller Sehnsucht
nachts in den Himmel schaut
zu Saturn und Jupiter, wie
sie einander nahe stehen
wie lange nicht –
dem sei gesagt: die Entfernung
zwischen Saturn und Jupiter
ist ungleich größer als der Abstand
zwischen Mensch und Mensch
in Zeiten einer Pandemie –
auch steht zu hoffen,
dass wir nicht 60 Jahre
auf eine nächste Begegnung
werden warten müssen, die
gar keine Begegnung ist
Elefantasie
schau ins Grau –
und du siehst Rosarot:
geborgen, wer dem
sanften Pendeln von Rüsseln
und dem Fächeln der Ohren
zu lauschen versteht, ja:
glücklich, wer zu hören
vermag, wie sie beginnen
zu singen, nahezu unbemerkt
und doch so groß
Ihr könnt Euch denken, was ich gerade gelesen habe: Elefanten aus der von mir so geliebten Reihe “Naturkunden” vom Verlag Matthes & Seitz