Leselust

für Ule (nein, keine Ode auf die Lesebrille!)

Kennst du diese Leseecke,
wo im Sessel tief mit Decke
und im Schein der Leselampe
füllt mit Büchern sich die Wampe
eine alte Leseratte,
die im Sinn nur eines hatte:

Lesefutter, Lesewut,
Bücherstapel, Bücherflut,
überall ein Lesebuch.
Eins nur wurde ihr zum Fluch:
Mit dem Alter kam die Grille
und der Zwang zur Lesebrille.

Am Lesepult, im Lesesaal
wurd’ das Lesen nun zur Qual.
Lesestoff blieb ungepflegt,
hat die Brille sie verlegt.
Ist ihr Schicksal nicht zum Steinerweichen?
Das denkt auch das Lesezeichen.

Um zu retten ihr die Leselust
half schließlich ihr das Hörbuch, just
solange sie noch hören konnte
und sie sich in Wörtern sonnte.
Die letzten Bücher, die sie las,
– ja, das war ihr letzter Lesespaß –

waren nur noch Leseschatten
für blinde, taube Leseratten.

Aus-Zeit. Eine Art ‘Löffel-Liste’ *

Ich möchte aus alten Gewohnheiten
ausbrechen, vielleicht doch noch
auswandern, mir nicht nur Schönes
ausmalen, sondern überallhin
ausfliegen, nach allen Seiten
ausschwärmen, jeden Abend
ausgehen, jeden Morgen richtig
ausschlafen, nichts mehr
aussitzen, vor allem aber nie mehr
aussetzen, keine Torheit
auslassen, jede Menge Unsinn
aushecken, mir immer wieder Neues
ausdenken, viel Freude und Glück
aussäen, einfach alles
ausreizen, mich gänzlich
austoben, das Leben voll
auskosten, mich ganz und gar
ausleben und
aus.

*Für alle, die diesen wunderbaren Film “The Bucket List” (deutscher Titel: “Das Beste kommt zum Schluss”) und von daher diesen Ausdruck nicht kennen: Die ‘Löffel-Liste’ ist die Liste der Dinge, die man unbedingt noch machen will, bevor man ‘den Löffel abgibt’.

Prosa in Rosa (8)

Aus den Tiefen ihrer Schubladen hatte sie nun doch wieder ihr Kirschblüten-Briefpapier hervorgekramt und schrieb nun viele lange Briefe, in denen sie umfassend Antwort gab auf die großen philosophischen Fragen der Menschheit nach dem Woher, Wohin und Warum – und sie erklärte die Welt in jedem Brief ein wenig anders (denn nichts erfreute ihr Herz mehr als Variation). Nun konnte die nächste Einladung kommen, und sie war vorbereitet auf diesen einen obligatorischen Satz:

“Um Antwort wird gebeten.”

Wer erklärt mir den Krieg?

eingedenk der Ostermärsche 2017

Wer erklärt mir den Krieg?
Kriegt da jemand
vom Kriegen nicht genug –
und was kriegt der Krieger?

Wer führt Krieg – und wohin?
Und wie sieht jemand aus, den
man mit Krieg überzieht?

Kann man Truppen auch
per Mail entsenden?
Und was bleibt von ihnen übrig,
wenn man sie zusammenzieht?

Bei welcher Lotterie kann ich
einen Krieg gewinnen?
Und wo kann ich ihn wiederfinden,
wenn ich ihn verloren habe?

Was ist eine gelungene
Operation – und wer ist der Arzt,
wer der Patient?

Was genau entscheidet eine Schlacht?
Und wer muss bluten
in den vielen blutigen Schlachten?

Wohin flieht
ein ausgebrochener Krieg?
Und wer nimmt dann
den Kampf auf?

Stehen Gefallene wieder auf und
stehen dann die Waffen still?
Und wer eröffnet dann das Feuer?

Ist beim Friedensschluss
der Friede am Ende?
Wer herrscht, wenn
Friede herrscht?
Und wo kann ich
Frieden stiften?

Wer erklärt mir den Krieg?