#frapalymo 11-nov-16: abstrakte tiere

Für den elften Impuls – wählt einen oder zwei begriffsstudiobegriffe und bindet diese in euren text ein – bräuchte ich viel mehr Zeit (allein schon zum Durchstöbern und Durchforsten des Rinckschen Begriffsstudios), das gibt mein momentanes Arbeitsleben leider nicht her… Mein erster Impuls auf diesen Impuls war:

abstrakte tiere?
frau rinck, ich kapituliere.
vor diesem sammelsurium,
da knie ich nieder, stumm

Doch nächtens haben die “abstrakten tiere” dann doch noch ein wenig in mir rumort – und dies ist das (vorläufige) (nicht-amtliche) Endergebnis:

abstrakte tiere*

die ung, die frisst mir aus der hand
die heit, die keit stets elegant und sehr charmant
das tum ist etwas träge
die schaft dagegen rege
am klügsten ist das wesen
denn es kann schließlich lesen

doch wenn ich mal ganz ehrlich bin
und eben mal so weiterspinn‘
dann sind mir die vampierchen**
nun doch die lieberen tierchen
das un, das ent, das miss
und auch das zähnereiche dis
sie beißen ganz erfrischlings***
die lers, die lings, das dings

im wörterzoo sind sie alle vertreten
die hohen, die kleinen
die schlichten, die feinen
die abstrakten wie die konkreten

*Nr. 3267
**Nr. 3104
***Nr. 3524
aus Monika Rincks “Begriffsstudio”

#frapalymo 10-nov-16: lieblingsdichter: titel eines gedichts als inspiration

Der zehnte Impulssucht euch von eurem lieblingsdichter den titel eines gedichts und nehmt diesen als inspiration – kommt so harmlos daher… aber: Wer die Wahl hat, hat die Qual. Ich war versucht zu schummeln, hab ich sowas doch sowieso im Gepäck: zum Beispiel zu Ulla Hahns “Herz über Kopf” (Herzwärts), zu SAIDs “Sei Nacht zu mir” (Sei Nacht zu mir) oder zu “Mein blaues Lied” von Ahmad Shamlu (Mein blaues Lied) – aber das wäre ja nicht im Sinne der Erfinderin des frapalymo… Also auf: Mit allen Sinnen an den Bücherschrank…
Hängen geblieben bin ich – möglicherweise liegt es daran, dass mich der November immer ein bisschen sentimental macht – an Friedrich Hölderlins “Hälfte des Lebens”. Tja, und das ist dabei herausgekommen:

Hälfte des Lebens

bitte, keine halben Sachen
auch nicht: halbe-halbe
entweder ganz
oder gar nicht

ein halbes Leben:
nichts Halbes, nichts Ganzes
Leben auf halbmast
halbherzig
halb tot

lebenshalber:
mach nicht halblang
lebe – ganz! voll! rund!

Kurze Unterbrechung aus gegebenem Anlass

Es gibt Momente, da hilft nur noch Galgenhumor… Wobei: Jena finde ich mindestens genauso beunruhigend wie Washington…

Die Welt ist geschockt,
hat sie’s doch verbockt,
sich selbst eingebrockt,
zu lang hinterm Ofen gehockt
und lieber gerockt…
Sie wurde verlockt
von einem, der bockt.
Der Sieger frohlockt.
Die Welt ist geschockt,
doch: Verzockt ist verzockt.

#frapalymo 9-nov-16: ein text, zwei strophen, vier wörter

Puh, es wird immer härter! Der neunte Impulsein text, zwei strophen, vier wörter: glas, dünn, blass, see. sie sollen in beiden strophen je einmal vorkommen – macht sehr viele Vorgaben. Aber sie kommen mir entgegen: Ich liebe parallele Konstruktionen. Und ich habe mir selbst noch eine weitere Vorgabe gemacht: Ich wollte diese vier Wörter in der zweiten Strophe in umgekehrter Reihenfolge wiederholen (quasi als Spiegelung); hab dann noch ein paar Wörter zum Wiederholen hinzugefügt, aber die Rahmenwörter sozusagen fixiert – man gönnt sich ja sonst nichts.

Winter

Einsam liegt der See im Schnee.
Blass ist sein Gesicht. Weiß.
Dünn ist das Eis, das ihn bedeckt
wie Glas, kalt und klar. Darunter
kannst du ihn vom Frühling träumen sehen.

Einsam stehe ich am Fenster und
blicke durch das Glas, kalt und klar.
Dünn ist meine Haut geworden. Weiß.
Blass ist mein Gesicht. Unter dem Schnee
kannst du noch den Frühling spüren, im Traum.

#frapalymo 8-nov-16: „ich habe geträumt, ein baum wuchs ins zimmer. jetzt vermisse ich ihn.“

Der achte Impuls„ich habe geträumt, ein baum wuchs ins zimmer. jetzt vermisse ich ihn.“ (ein tweet von ina steg aka @tschabuhjahhh) – ist eine echte Herausforderung. Enigmatische Texte mit komplexer Bildstruktur im Kurzformat (in den Worten von Frau Paulchen: „alles gesagt, alles offen“), das ist ja nicht unbedingt mein Ding, obgleich es etwas ist, wo ich schon immer mal hinkommen wollte. Nach vielen Entwürfen und Verwürfen standen am Ende nun diese Verse da:

 

nachts, auf dem heimweg

auf meinem weg | lag plötzlich ein stern. ich
hob ihn auf und machte mich auf | den weg.

#frapalymo 7-nov-16: dreht einen text durch den automatengedichtautomaten

Dem siebten Impuls “dreht einen text durch den automatengedichtautomaten” – komme ich doch gerne nach… Schöne Ergebnisse hab ich doch gleich mit meinem letzten Text bekommen…

Fragwürdige Utopie – gewolft mit allen Einstellungen und ein bisschen nachbearbeitet

abgelaufen wunderbar
glück dir glück, könntest du
fragwürdige dose!

gesundheit vorratsschrank gesundheit
dosen wann?

Gewolfte Fragwürdige Utopie noch einmal gewolft und halbiert

gesundheit
glück wunderbar dir
wann dose du glück

Ach, das macht Spaß, das könnte ich jetzt noch ein paar Stunden machen! – doch dann hat in mir der geballte Zufall noch einen anderen Reflex ausgelöst: “Lyrik aufräumen” – so wie Ursus Wehrli mit seinen Büchern übers “Kunst aufräumen”

Fragwürdige Utopie – aufgeräumt

Bedarf, Dose, Dose, Dosen,
Gesundheit, Gesundheit, Glück, Glück,
Monaten, Vorratsschrank, Zeit, Zeit

abgelaufen, aufmachen,
frag, hättest, ist, ist, könntest,
verfällt, wäre, wäre

einfach, haltbar, lange, nötig,
schön, wunderbar

ich, dich, dir, du, du,
es, es, mich
paar

das, die,
ein, eine, eine

bei, im, in

nur: wann, wie, wieviel?

oder, und, und:
nicht, nicht
immer,
wenn, wenn, wenn

#frapalymo 6-nov-16: was alles in eine konservendose passt

Der sechste Impuls„was alles in eine konservendose passt.“ – hat mich zu einer kleinen lebensphilosophischen Reflexion angeregt, wobei mich das wohl hat eher darüber nachdenken lassen, “was alles nicht in eine konservendose passt.”

Fragwürdige Utopie

Wäre es nicht schön,
wenn du dir bei Bedarf
einfach eine Dose Glück aufmachen könntest
oder, wenn nötig, eine Dose Gesundheit?
Wäre es nicht wunderbar,
wenn du immer
ein paar Dosen Zeit im Vorratsschrank hättest?
Nur frag ich dich und mich:
Wie lange haltbar ist das Glück?
In wieviel Monaten verfällt Gesundheit?
Und: Wann ist die Zeit abgelaufen?

#frapalymo 5-nov-16: lasst euch von der musik zu einem text inspirieren

Den fünften Impuls habe ich – wie ich eben gerade bemerke – gründlich missverstanden (bin einfach zu wenig frapalymo-erfahren): Ich habe nämlich den Link übersehen… und habe mir deshalb selbst erst einmal ein passendes Musikstück gesucht, was schon eine kleine Herausforderung war! Die Goldberg-Variationen wären natürlich auch ganz toll gewesen (schade, schade! – aber das ist jetzt doch zu spät!).

Meine Wahl ist letztendlich auf Behnam Manahedji gefallen, den großen Santur-Meister, und zwar auf sein Stück “Whisper” aus dem Zyklus “Lost Desires” (zu finden auf seinem Album “Master of Persian Santoor”, 1993; das Stück “Whisper” kann man z.B. hier hören). Ich hoffe, dass ich trotzdem noch mitmachen darf, auch wenn ich – lehrerhaft gesprochen – gründlich “das Thema verfehlt” habe.

 

naǧwā*

wasser, wasser
fließt und fließt und fließt
weiter, weiter, immerfort
wasser, wasser
strudelt, sprudelt, perlt
flüstert, wispert, gluckst
weiter, weiter
durch die auen, durch die wälder
über felder, übers land
weiter, weiter
hell und klar
sanft berührt es jene saiten
die da schlummern im gestein
auf dass stumme kiesel summen
bis der bach, der fluss, der strom
voll erklingt und singt
endlos, endlos
fließt das wasser
singt von längst verklungner freude
singt von längst vergessnem schmerz
endlos, endlos
fließt das wasser
bis es plötzlich innehält
zitternd
und dich fragt:
wohin?
wohin?
wohin?

 

* bedeutet ‘Geflüster’ und ist der persische Titel des Musikstücks

#frapalymo 4-nov-16: wolle und milch

Der vierte Impuls“und in die luft des herbstes mischt sich zärtlich wolle und milch”* – hat mich entführt, ja verführt zu einer kleinen Miniatur über das Landleben.

* Wortlaut von karl aka @chrischa68

herbstmorgen auf dem lande
eine miniatur

nebel weidet leis im tal
auf dem berg ruht erstes licht
schafe – aus dem schlaf erwacht –
ziehen still wie weiße wolken
durch die bunt gefärbte welt
in den ställen atmet leben:
bald beginnt der mensch sein tagwerk
und in die luft des herbstes mischt sich zärtlich
wolle und
milch

#frapalymo 2-nov-16: unheimlich

Der zweite Impuls “unheimlich” ist der Auftakt zu einem Doppelimpuls, der mit “heimlich” fortgesetzt wird: Dieses Wort setzt natürlich vielfältige Assoziationen frei, ich bin am Wort geblieben: un-heim-lich.

unheimlich
ist mir dort, wo
in aller Unheimlichkeit
Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten,
ein Heim verweigert wird,
dort, wo sie
in aller Heimlichkeit
in die Unheimischheit verbannt oder
dorthin abgeschoben werden, was
man wohl Unheimat zu nennen hat,
dort ist mir
unheimlich

#frapalymo 1-nov-16: Erste Wörter

Noch bin ich im Zweifel: Werde ich überhaupt die Zeit finden, wird es mir mental überhaupt gelingen, jeden Tag ein Gedicht zu Frau Paulchens Impuls (http://paulchenbloggt.de/frapalymo/) zu schreiben? – Nun, ich muss ja nicht… ich schaue einfach mal, wie weit ich komme. Vielleicht beteilige ich mich auch nur sporadisch…

Der erste Impuls “die ersten wörter sind eure ersten wörter” hat bei mir gleich zweifach eingeschlagen: Entstanden sind zwei Gedichte, eines zu den ersten Worten eines Gedichts von Erich Fried, das ich sehr liebe (auch wenn ich mich hier nun in den Widerstreit begebe), und eines zu den ersten Worten aus dem ‘Parzvial’ Wolframs von Eschenbach, einem mittelalterlichen Versroman (Anfang 13. Jh.), dem ich schon lange sehr verbunden bin.

 

Nicht nichs

Nicht nichts
ohne dich
*
aber auch:
Nicht alles
mit dir

*Erich Fried: Ohne dich. In: Liebesgedichte (Quartheft 103).

 

Ist zwîvel herzen nâchgebûr

Ist zwîvel herzen nâchgebûr,
daz muoz der sêle werden sûr.
Wenn Zweifel Herzens Nachbar ist,
dann wird das sauer für die Seele*

zumindest wenn’s ein Zweifel ist,
der der Verzweiflung nahesteht,
ein Nachbar, der seinen Nachbarn
gern entzweit, indem er
bittersaure Zwietracht sät,
so dass das nunmehr zwiefalt Herz
an Welt, an Mensch, an sich
bald zweifelt, bald verzweifelt
– zweifach zwiegespalten.
Süß nur ist der Zweifel,
der einen jeden Zweifelsfall
ins rechte Zwielicht rückt:
ein Zweifel, der Herz, Welt und Ich
immer wieder konstruktiv mit Bedacht in Frage stellt:
Ist zwîvel herzen nâchgebûr,
daz muoz der sêle werden sûr.
Ist ab zwîvel herzen kampfgenôz,

daz ist der sêle süezer dôz.**

*Wolfram von Eschenbach: Parzival, Prolog, Verse 1-2 (die neuhochdeutsche Übersetzung der Sentenz stammt von mir)
**Wenn aber Zweifel des Herzens Kampfgenosse ist, dann ist das für die Seele süßer – weil: heilbringender – Klang (die mittelhochdeutsche Weiterdichtung und ihre neuhochdeutsche Übersetzung sind natürlich von mir).