Fünfzig Gründe

Mindestens fünfzig Gründe
kann ich dir nennen,
die dagegen sprechen,
die Heimat zu verlassen.

Die Mutter.
Der Vater.
Die Schwester.
Der Bruder.
Der Mann. Die Frau.
Das Kind. Die Kinder.
Die Enkel.
Die Ahnen.
Die Freunde.
Die Menschen.

Der Berg. Das Tal.
Die Steppe. Die Wüste.
Der See. Das Meer. Der Fluss.
Der Stein.
Der Baum. Der Strauch.
Die Tiere. Die Vögel.
Die Erde unter deinen Füßen.
Der Himmel über dir.
Die Sonne. Die Wolken.
Der Wind in deinem Haar.

Die Stadt. Das Dorf.
Die Straße. Der Weg.
Die alte Brücke.
Die neue Schule.
Das Haus.
Der Hof. Der Garten.
Der Tisch. Das Bett.
Das alte Bild.
Der Blick durch die Tür.
Der Blick aus dem Fenster.

Die Sprache.
Die Küche.
Die Lieder.
Die Tänze.
Die alten Geschichten.
Die alten Bräuche.
Die vertrauten Kleider.
Die vertrauten Gesten.
Das gemeinsame Lachen.
Das gemeinsame Weinen.

Die Erinnerung.
Die Hoffnung.
Der Glaube.
Die Liebe.
Die Verantwortung.
Das Schuldgefühl.
Die Trauer.
Die Angst.
Die Ohnmacht.
Das Heimweh.

Wie groß muss das Leid sein,
wenn man trotz dieser guten Gründe
sein Land verlässt,
wenn man trotzdem flieht?

Zentriert

Mit dem folgenden Gedicht werde ich mich wahrscheinlich ein bisschen unbeliebt machen. Aber ich gebe zu: Ich mag es nicht, wenn Gedichte regelmäßig (ohne Rücksicht auf ihren Inhalt) zentriert formatiert werden (und dies geschieht nicht nur in der Blog-Welt, sondern auch in wissenschaftlichen Arbeiten und sogar in dem ein oder anderen Lyrikband). Nur: Wozu macht man das? Ich verstehe es nicht und habe nun meine Meinung zu diesem Form-Problem in ein kleines polemisches und natürlich zentriert formatiertes Gedicht gegossen.

Ein zentriert formatiertes Gedicht,
das jedoch kein
Zentrum
hat, ist nicht mehr als
ein zentriert formatiertes Gedicht.

Ein Traumbild

Seifenblasen im Kopf.
Zuckerwatte im Bauch.
Himbeerbrause auf der Zunge.
Ich knüpfe mir ein Kleid aus Gänseblümchen und
spiele mit den Murmeln vor dem Zelt aus Wolldecken.
Sehnsüchtig blicke ich den Pferdchen nach,
wie sie schweben auf dem alten Karussell,
das sich in meinem Herzen dreht.
Noch warte ich
auf die Zeit der Wunderkerzen.

Herztausch

Ich liebe Dich
mit Deinem Herzen,
denn mein Herz hab ich Dir geschenkt,
so wie
Du mir Dein Herz geschenkt hast und
mich nun liebst
mit meinem Herzen.

Heißt das:
Mein Herz
liebt nun mich,
und
Dein Herz
liebt nun Dich?

Nein,  so einfach ist das nicht.
Mein Herz in Dir
liebt nun Dein Herz in mir
und
Dein Herz in mir
liebt nun mein Herz in Dir.

Schenkt nun
mein Herz in Dir
sein Herz
an Dein Herz in mir
und schenkt nun
Dein Herz in mir
sein Herz
an mein Herz in Dir, dann

liebe ich Dich
mit dem Herzen meines Herzens
in Deinem Herzen in mir
so wie
Du mich liebst
mit dem Herzen Deines Herzens
in meinem Herzen in Dir.