ich steh am Abgrund
und ihr sagt zu mir:
komm, stell dich
nicht so an und geh
einfach weiter
Am toten Punkt
Lyrifant in Zeiten von Corona
gefühlt von bösen Viren umsummt
staatlich verordnet vermummt
systematisch verdummt
lyrisch verstummt
was ich gern wüsste
werde ich – wenn’s soweit ist –
mit dem Tod kämpfen?
ob ich die Waffen wählen darf?
werd ich mit ihm ringen? Frau gegen –
tja, was? Mann? Frau? Divers?
wie ich mich kenne, werd
ich gewiss versuchen, mit ihm
zu diskutieren: warum jetzt?
warum ich? warum überhaupt?
(doch er wird schweigen, fürchte ich)
ob man mit ihm handeln kann?
meine Seele für mein Leben?
(ach nein, das war der Teufel!)
aber: was sollte mir auch das Leben
ohne Seele noch?
könnt ich den Tod vielleicht
zum Teufel jagen? – doch wer
sollte dieser arme Teufel sein?
(Heiliger St. Florian …? –
das ist keine gute Lösung!)
werd ich also – wenn’s denn soweit ist –
mich dem Tod einfach ergeben?
gut zu wissen
gut zu wissen, dass man
den Tod finden kann –
hatte mich schon gefragt, wo
er sich denn schon wieder
versteckt hat, der Schlingel
und wenn es sein muss, kann
man ihn sich sogar holen!
in Zeiten der Seuche
in Zeiten der Seuche
blüht die Sucht: niemand
will schon vor der Zeit
des Siechtums dahin-
siechen – so such ich,
doch kein Stoff in Sicht:
oh, Schokolade, bitte!
Kein Aprilscherz!
Der Aprilscherz
ist abgesagt.
(Humor ist einfach
zu ansteckend).
(Oder in diesem Fall
kontraindiziert).
Ein Hölderlin-Mantra für diese Zeit
Vier Hölderlin-Worte sind es, die mir in dieser “dürftigen” Zeit gerade viel helfen. Sie haben in diesen Tagen ganz neue Bedeutungsdimensionen für mich gewonnen und sind mir gleichsam zu meinem täglichen Mantra geworden:
Lieber! was wäre das Leben ohne Hoffung?
Wo aber Gefahr ist, wächst
Das Rettende auch.
Nur Einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen!
Und einen Herbst zu reifem Gesange mir […].
Was bleibet aber, stiften die Dichter.
Die Verse stammen – in dieser Reihenfolge – aus dem Hyperion (1797/98), der Hymne Patmos (1803), der Ode An die Parzen (1799) und der Hymne Andenken (1803).
Tage in diesen Tagen
drin bleiben
Abstand halten
funktionieren
telefonieren
Angst haben
funktionieren
improvisieren
jonglieren
Angst haben
Nachrichten hören
recherchieren
Angst haben
funktionieren
Mails lesen
Mails schreiben
kreativ werden
alternative Lösungen finden
funktionieren
improvisieren
drin bleiben
Abstand halten
Angst haben
“Dichter in dürftiger Zeit”
doch wer möchte sich schon
in diesen Tagen die Lunge
aus dem Leib schrei(b)en?
in Zeiten der Atemnot aber
täte uns eine Ode
auf den Odem
not
Ängste
meine Angst
kann ich lernen
zu öffnen
die Ängste der anderen
aber vermag ich nicht
zu schließen
Puddingtage
es gibt Tage, die schmecken nach
Vanillepudding
(noch warm und direkt aus dem Topf
und natürlich mit dem Esslöffel)
(das Bauchweh kommt später)
und es gibt Tage, da braucht es
Vanillepudding
(noch warm und direkt aus dem Topf
und natürlich mit dem Esslöffel)
(und das Bauchweh ist dann auch egal)
Grammatik des Zweifels
ich zweifle
an mir, an dir, an Gott und Welt
ich bezweifle
grundsätzlich die Sinnhaftigkeit unseres Seins
ich erzweifle
mir die zweifelhaftesten Erkenntnisse
ich zerzweifle
alles, einfach alles
ich zweifle und zweifle
bis ich verzweifle
ich verzweifle
an mir, an dir, an Gott und Welt
wie kann ich mich nur
entzweifeln?