Die zweite Haut (9)

Ihr emsigen Bienen, summt
mir ein honigsüßes Kleidchen
aus euren schwirrenden Pelzleibern
und euren sirrenden Hautflügeln.
Umsummt und umbrummt mich,
bestäubt und betäubt mich: Nackt
bin ich unter meinem Bienenkleid.
Ihr werdet mich doch nicht stechen?

Link zum Bild: Maggie Taylor, Girl with a Bee Dress
Link zur Ausstellung: Die zweite Haut

Die zweite Haut (6)

Grünes Moos bedeckt
Erde, Stein und Wurzel.
Alt bin ich geworden. In grünes Moos
bette ich nun mein müdes Haupt.

In meine müden Augen
malt mir die Erde die vertrauten Bilder.
In meine müden Ohren
singen mir die Steine die alten Geschichten.
In meine müden Hände
nehme ich meine Wurzeln.

Ich spüre das grüne Moos
auf meiner Haut. Spüre
das grüne Moos wachsen
über meine Haut durch
meine Haut unter meine Haut.
Alt bin ich geworden. Grünes Moos
deckt mich zu. Ruhe finde ich nun hier
in meiner bemoosten Haut.

Link zum Bild: Karoline Hjort und Riitta Ikonen: Eyes as big as plates – Torleif
Link zur Ausstellung: Die zweite Haut

Die zweite Haut (5)

knüpf mir
ein Kleid aus
getrockneten Blüten, aus
verdorrten Stengeln der
Steinimmortelle
zu lösen klug
des Königs Rätsel:
weder nackt
noch bekleidet

web mir in Form
meinen Körper aus
dem Kleid aus getrockneten
Blüten, aus verdorrten Stengeln der
Steinimmortelle
zu wirken fein
des Menschen Traum:
sowohl unsterblich
als auch vergänglich

Link zum Bild: Ulla Reiss, Kleid für Marion
Link zur Ausstellung: Die zweite Haut

Die zweite Haut (1)

Das Feigenblatt,
das meine Blöße
bedeckt, mir meine
Blöße entdeckt, ist
bloß ein Feigenblatt.

Heute, am ersten Tag des neuen Jahres, war ich in einer Ausstellung, die mich tief beeindruckt hat: “Die zweite Haut” im Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg. Sie hat in mir den Wunsch geweckt, mich diesem Thema und seinen Bildern in einem Gedichtzyklus anzunähern – wohin mich das tragen wird, weiß ich noch nicht, aber ich kann mir ja Zeit lassen. Das Motiv für das erste Gedicht stand aber sehr schnell fest, und hier ist es auch schon…
Nach Möglichkeit werde ich Links zu den Bildern, die die Texte jeweils inspiriert haben, einrichten (die Bilder hier direkt einzustellen, ist aus rechtlichen Gründen nicht möglich). Links haben aber auch einen entscheidenden Vorteil: Ihr könnt (!) euch das Bild/die Bilder anschauen, aber ihr müsst es nicht – das entscheidet ihr selbst.
Die Texte sollten aber auch für sich stehen können. Denn es ist nicht das Ziel meiner Texte, die Bilder 1:1 in Worte zu überführen. Die Bilder sind nicht mehr, aber auch nicht weniger als die ‘Auslöser’ für die Texte, in denen ich mich den Reflexionen und Emotionen, die die Bilder in mir freisetzen, auf sprachliche Weise annähere.

Link zu Bild und Ausstellung: Die zweite Haut