Schreib

Schreib dich nicht ab.
Schreib dich auf.
Schreib dich aus.
Schreib dich ein in dein Leben.

Schreib dich nicht klein.
Schreib dich groß.
Schreib dich schön.
Schreib dich laut und deutlich.

Schreib dich nicht wund.
Schreib dich gesund.
Schreib dich rund.
Schreib dich bunt.

Schreib dich nicht fort.
Schreib dich um.
Schreib dich neu.
Schreib dich ins Reine.

Schreib dich nicht nach unserem Mund.
Schreib dich für die eigenen Augen.
Schreib dich uns hinter die Ohren.
Schreib dich uns ins Herz.

Vor allem aber:
Schreib.

Rosengarten. Kein Liebesgedicht

In Erinnerung an Lynn Anderson,
“I beg your pardon, I never promised you a rose garden”

Ich hab dir nie
einen Rosengarten
versprochen.

Ich hab für dich
rote Rosen regnen lassen,
bis dir der Atem schwand
unter all dem Rosenduft.

Ich hab dich
auf Rosen gebettet,
bis du dir die Haut blutig ritztest
an ihren Dornen.

Ich lasse dich
das Leben in Rose,
das Leben in Rosa sehen,
solange bis uns begraben
die welken Blätter.

Einen Rosengarten aber
hab ich dir nie
versprochen.

Fünfzig Gründe

Mindestens fünfzig Gründe
kann ich dir nennen,
die dagegen sprechen,
die Heimat zu verlassen.

Die Mutter.
Der Vater.
Die Schwester.
Der Bruder.
Der Mann. Die Frau.
Das Kind. Die Kinder.
Die Enkel.
Die Ahnen.
Die Freunde.
Die Menschen.

Der Berg. Das Tal.
Die Steppe. Die Wüste.
Der See. Das Meer. Der Fluss.
Der Stein.
Der Baum. Der Strauch.
Die Tiere. Die Vögel.
Die Erde unter deinen Füßen.
Der Himmel über dir.
Die Sonne. Die Wolken.
Der Wind in deinem Haar.

Die Stadt. Das Dorf.
Die Straße. Der Weg.
Die alte Brücke.
Die neue Schule.
Das Haus.
Der Hof. Der Garten.
Der Tisch. Das Bett.
Das alte Bild.
Der Blick durch die Tür.
Der Blick aus dem Fenster.

Die Sprache.
Die Küche.
Die Lieder.
Die Tänze.
Die alten Geschichten.
Die alten Bräuche.
Die vertrauten Kleider.
Die vertrauten Gesten.
Das gemeinsame Lachen.
Das gemeinsame Weinen.

Die Erinnerung.
Die Hoffnung.
Der Glaube.
Die Liebe.
Die Verantwortung.
Das Schuldgefühl.
Die Trauer.
Die Angst.
Die Ohnmacht.
Das Heimweh.

Wie groß muss das Leid sein,
wenn man trotz dieser guten Gründe
sein Land verlässt,
wenn man trotzdem flieht?

Zentriert

Mit dem folgenden Gedicht werde ich mich wahrscheinlich ein bisschen unbeliebt machen. Aber ich gebe zu: Ich mag es nicht, wenn Gedichte regelmäßig (ohne Rücksicht auf ihren Inhalt) zentriert formatiert werden (und dies geschieht nicht nur in der Blog-Welt, sondern auch in wissenschaftlichen Arbeiten und sogar in dem ein oder anderen Lyrikband). Nur: Wozu macht man das? Ich verstehe es nicht und habe nun meine Meinung zu diesem Form-Problem in ein kleines polemisches und natürlich zentriert formatiertes Gedicht gegossen.

Ein zentriert formatiertes Gedicht,
das jedoch kein
Zentrum
hat, ist nicht mehr als
ein zentriert formatiertes Gedicht.