Unliebsame Wahrheiten sind
lieb gewordene Unwahrheiten,
die mehr wahr sind,
als uns lieb ist.
Gedicht
Vergebliche Liebesmüh
Ich hab’ Pferde gestohlen
und Schafe gezählt,
Flöhe gehütet und
Mäuse gemolken.
Ich hab’ mir Bären aufbinden lassen
und mich zum Affen gemacht.
Alles für die Katz.
So geh’ ich vor die Hunde, doch
kein Schwein interessiert’s,
kein Hahn kräht danach.
Ein und Alles
Du bist mein
Ein und Alles.
Du bist
der Körper meiner Welt,
die Seele meines Lebens.
Du bist
die Sonne meiner Tage,
der Mond meiner Nächte,
der Stern auf meinem Weg.
Du bist
die Erde, auf der ich stehe,
die Luft, die ich atme,
das Wasser, aus dem ich trinke,
das Feuer, das mich wärmt.
Du bist
das Auge, mit dem ich sehe,
das Ohr, mit dem ich höre,
die Nase, mit der ich rieche,
die Zunge, mit der ich schmecke,
die Haut, mit der ich fühle.
Du bist
der Frühling, in dem ich erblühe,
der Sommer, in dem ich reife,
der Herbst, in dem ich Früchte trage,
der Winter, in dem ich zur Ruhe komme.
Du bist
der Gedanke, den ich denke,
die Rede, die ich rede,
die Tat, die ich tue.
Du bist
das Fleisch auf meinen Rippen,
das Blut in meinen Adern.
Du bist mein
Ein und Alles.
Zum Jahreswechsel
Als ob man es könnte:
Einfach das Jahr wechseln.
Zwischen den Jahren
Wer es könnte:
Zwischen den Jahren
einfach in der klitzekleinen Ritze
zwischen den Jahren
verschwinden.
Hälfte des Lebens
(Optimistische Varianten)
Gut die Hälfte meines Lebens
habe ich damit vertan, auf das Leben
zu warten.
Bleibt mir nun noch gut eine Hälfte,
in der ich die Wartezeit dazu nutzen kann
zu leben.
*
Gut die Hälfte meines Lebens
habe ich vom Leben nur
geträumt.
Bleibt mir nun noch gut eine Hälfte,
um den Traum, der Leben heißt,
zu leben.
*
Gut die Hälfte meines Lebens
habe ich mein Leben
nur gespielt.
Bleibt mir nun noch gut eine Hälfte,
um ernsthaft mein Leben
zu leben.
Hälfte des Lebens
(Pessimistische Variante)
Gut die Hälfte meines Lebens
habe ich geduldig auf das Leben
gewartet.
Bleibt mir nun noch gut eine Hälfte,
um ebenso geduldig auf den Tod
zu warten.
Entzauberung
Ein – vorläufig – letztes Gedicht aus dieser Serie…
Geblendet hat mich einst
der hellsichtige Blitz Deines Lächelns.
Blind blicke ich nun
in die trübnebligen Augen Deiner Träume.
Betäubt hat mich einst
der lautstarke Sturm Deiner Begeisterung.
Taub lausche ich nun
in die stumpf donnernden Ohren Deiner Sorgen.
Gelähmt hat mich einst
der rege überlaufende Regen Deiner Lebensfreude.
Lahm tappe ich nun
in die matt verschneiten Hände Deiner Ängste.
Verstummen ließ mich einst
die wortlos singende Sonne Deiner Liebe.
Stumm spreche ich nun
in den tonlos wolkigen Mund Deines Schweigens.
Blinde Kuh
Das blinde Huhn erhascht
die taube Nuss.
Die lahme Ente packt sich
den stummen Fisch.
Es ist ein Kinderspiel.
Doch wer hat nun
den Schwarzen Peter?
Vom Zauber der Liebe
Dritte Version zu “Vollkommene Liebe” im Nachgang zu “Geschichte und Gegenwart”
für Ule Rolff als Dankeschön für die Ermunterung zum Weiterspinnen des blind-taub-stumm-Motivs 🙂
geblendet
vom Licht Deines Blickes
höre ich Dich
stumm
mit blinden Ohren
betäubt
vom Klang Deiner Stimme
singe ich von Dir
blind
mit taubem Mund
verstummt
im Wort Deiner Liebe
schaue ich Dich an
taub
mit stummen Augen
Dezember. Ein elegischer Walzer
Lyrifants Adventskalender 2023 Türchen 5
Wann hat der Dezember den Zauber verloren,
der uns aus der Kindheit so lieb und vertraut?
Wann sind uns die Herzen und Augen erfroren,
mit denen wir Wunder auf Wunder geschaut?
Wohin sind die Freuden des Winters verschwunden:
das Schneeflockenglück und der Eisblumentraum?
Wohin ist der Duft, dem wir so verbunden,
von Bienenwachskerzen und Tannenbaum?
Wohin ist im Herzen die Wärme der Lichter,
die Stille am See und der Friede im Wald?
Wohin sind die strahlend verzückten Gesichter,
wenn läutet des Christkindes Glöckchen schon bald?
Wann haben wir Eile statt Ruhe erkoren?
Wann ließen wir zu, dass die Zeit so verrinnt?
Wann hat der Dezember den Zauber verloren?
Jemals mehr wieder ihn niemand gewinnt.
Dieses Gedicht wurde (als vorletzter Beitrag) gesendet beim hr2-Lyrikfrühstück zum 4. Advent am 18. Dezember 2016; auf die Homepage der ausgewählten Beiträge hat mein Text es allerdings leider nicht geschafft.
Geschichte und Gegenwart
immer wieder
blinde Flecken
taube Stellen
stumme Zeugen
immer wieder
stummer Schmerz
blinde Wut
taubes Gefühl
immer wieder
taube Ohren
stummer Schrei
blinde Gewalt
und immer wieder
blind für Not und Elend
taub gegen alle Vernunft
stumm vor Entsetzen
Mich hat das blind-taub-stumm-Motiv noch nicht ganz losgelassen. Dies hier ist noch eine ganz andere Variante…