alles über

für C.

die Ansprüche überhöht
die Erwartungen übermächtig
der Kalender überfüllt
der Geist überlastet
die Seele überladen
der Mensch überfordert

vom Glück übersprungen
vom Wohl übergangen
vom Feind überboten
vom Freund überflügelt
vom Leben überholt

den Erfolg überbewertet
die Arbeit überdosiert
der Mensch überarbeitet

schließlich völlig übermüdet
immer überreizt
Urlaub überfällig
du überreif für die Insel

die Übergriffe nehmen überhand:
gerade nur so überleben
des Lebens überdrüssig

du hast es alles
über

Schlag auf Schlag

Ihr habt mich geschlagen
– Schlag auf Schlag –
mit Euren Stockschlägen
auf Haut und Herz.

Ihr habt mich geschlagen
– Schlag auf Schlag –
mit Euren Ratschlägen
für meine Wunden.

Ihr habt mich geschlagen
– Schlag auf Schlag –
mit Euren Umschlägen
auf meine Narben.

Ihr habt mich geschlagen
– Schlag auf Schlag –
mit Euren Vorschlägen
für meinen Schmerz.

Ihr habt mich geschlagen
– Schlag auf Schlag –
mit Euren Anschlägen
auf meinen Leib und auf mein Leben,
mit Euren Querschlägen
gegen alles, was mir lieb ist.

Frieden ist Frieden

“Krieg ist Terror mit höherem Budget” – so titelt die ‘graswurzelrevolution’ in ihrer aktuellen Ausgabe (GWR  405, Januar 2016). Dieser Satz ist die Keimzelle für das folgende Gedicht (möglicherweise noch nicht ganz zu Ende gedacht).

Krieg ist Terror
mit höherem Budget.

Frieden ist Frieden,
unbezahlbar.

Krieg ist Terror
mit ökonomischem Gewinn.

Frieden ist Frieden,
wunderbar unrentabel.

Krieg ist Terror
mit parlamentarischer Legitimation.

Frieden ist Frieden,
herrschafts- und gewaltfrei.

Was mich jetzt doch noch sehr freut: Dieses Gedicht wird im Editorial der neuen Ausgabe der graswurzelrevolution’ (GWR 406, Februar 2016) in voller Länge zitiert – und mein Schlussvers wird als Titel für den Editorial verwendet. Die Herausgeber hatten mein Gedicht zufällig gefunden… und sich darüber gefreut. Wie schön!

Hälfte des Lebens

(Optimistische Varianten)

Gut die Hälfte meines Lebens
habe ich damit vertan, auf das Leben
zu warten.

Bleibt mir nun noch gut eine Hälfte,
in der ich die Wartezeit dazu nutzen kann
zu leben.

 *

Gut die Hälfte meines Lebens
habe ich vom Leben nur
geträumt.

Bleibt mir nun noch gut eine Hälfte,
um den Traum, der Leben heißt,
zu leben.

 *

Gut die Hälfte meines Lebens
habe ich mein Leben
nur gespielt.

Bleibt mir nun noch gut eine Hälfte,
um ernsthaft mein Leben
zu leben.

Dezember. Ein elegischer Walzer

Lyrifants Adventskalender 2023
Türchen 5

Wann hat der Dezember den Zauber verloren,
der uns aus der Kindheit so lieb und vertraut?
Wann sind uns die Herzen und Augen erfroren,
mit denen wir Wunder auf Wunder geschaut?

Wohin sind die Freuden des Winters verschwunden:
das Schneeflockenglück und der Eisblumentraum?
Wohin ist der Duft, dem wir so verbunden,
von Bienenwachskerzen und Tannenbaum?

Wohin ist im Herzen die Wärme der Lichter,
die Stille am See und der Friede im Wald?
Wohin sind die strahlend verzückten Gesichter,
wenn läutet des Christkindes Glöckchen schon bald?

Wann haben wir Eile statt Ruhe erkoren?
Wann ließen wir zu, dass die Zeit so verrinnt?
Wann hat der Dezember den Zauber verloren?
Jemals mehr wieder ihn niemand gewinnt.

Dieses Gedicht wurde (als vorletzter Beitrag) gesendet beim hr2-Lyrikfrühstück zum 4. Advent am 18. Dezember 2016; auf die Homepage der ausgewählten Beiträge hat mein Text es allerdings leider nicht geschafft.