Sternengeburtstag

für Conny

spät nachts im Bett schon denken:
heute wärst Du 60 geworden …
morgens aufwachen und denken:
heute wärst Du 60 geworden …
mittags einer Kollegin erzählen:
heute wärst Du 60 geworden …
nachmittags beim Tee erneut inne werden:
heute wärst Du 60 geworden …
abends beim Essen daran erinnern:
heute wärst Du 60 geworden …
spätabends eine Kerze anzünden für Dich:
heute wärst Du 60 geworden …

… und denken:
Stern, Du – was sind schon 60 Jahre?
heute wirst Du täglich ewig!

retten

In seiner Form ist dieser Text inspiriert von „gedanken zerren“, dem Debüt-Gedichtband von Özlem Özgül Dündar, wobei ich die Form einerseits radikalisiert und andererseits aufgebrochen habe für eine Idee, die in mir gärte und die ich nun glaubte, mit diesem Format am besten umsetzen zu können. Das Potential dieser Form ist einfach klasse, weil diese gebrochene Sprache gleichzeitig so viel Ungesagtes mitschwingen lässt – eine echte Entdeckung!

verkrochen

meine Worte haben sich verkrochen.

was nur hat sie gestochen? sie fürchten:
ihnen würden die Knochen gebrochen,
man wolle sie lochen oder gar kochen.
ungern lassen sie sich unterjochen.
schon gar in Epochen, wo unsere Herzen
so bang, ach bang nur pochen.

es sind nun schon Wochen, wo
ich nicht gesprochen.

meine Worte und ich:
wir haben uns verkrochen.

Morgensterns Schnecke

Danke, liebe Gerda, Deine Erinnerung an Morgensterns Schneckengedicht hat mich wieder ins Dichten gebracht …

lang hat die Schnecke nachgedacht –
und schließlich hat sie es gemacht:
verlassen hat sie nun ihr schützend‘ Haus
und kriecht und kriecht ganz weit hinaus.

leicht fühlt es sich auf ihrem Rücken an;
sie denkt: fängt jetzt das Leben an?
doch andererseits (ich muss es sagen)
beginnt sie bald doch laut zu klagen.

nackt ist sie jetzt – und heimatlos –
und denkt: was hab ich mir gedacht da bloß?