Parusie

Karfreitag 2021

Heute, beim Spazierengehen
– ich traute meinen Augen kaum! –
sah ich ihn kauern in den Reben:
ohne Schutz, kein Strauch, kein Baum!

Er ließ sich überhaupt nicht stören
von meinem faszinierten Blick
und mümmelte – nein, keine Möhren! –
ein wenig Gras und Grün – sein Glück!

– und meins:
denn wer kann es von sich schon sagen
in diesen so verrückten Tagen,
dass ihm, dass ihr – ja, wirklich wahr! –
der Osterhase heut’ erschienen war!

Dialektik der Ausgangssperre

normalerweise
will ich nicht und
muss ich nicht
vor’s Haus
nach 21 Uhr

kaum aber
darf ich nicht und
kann ich nicht
vor’s Haus
nach 21 Uhr

dann
will ich unbedingt und
muss ich unbedingt
vor’s Haus
nach 21 Uhr

und die Vernunft
darf dann und
kann dann ebenfalls
vor’s Haus –
rund um die Uhr

zum Jahreswechsel

Wir sind ja in der luxuriösen Situation, zweimal im Jahr den Jahreswechsel zu feiern: zum 1.1. und zum persischen Neujahrsfest, das in diesem Jahr auf den 20.3. fällt. Und was mir an solchen Schwellentagen so durch den Kopf geht, habe ich in diese Zeilen gepackt (eher eine Liste als ein Gedicht, ein Listengedicht sozusagen).

zu letztem Neujahr
hofften wir: neues Jahr, neues Glück
und ahnten: noch nichts

zu letztem Nourouz
hofften wir: nicht mehr lange
und wussten: noch zu wenig

zu diesem Neujahr
wussten wir: schon viel mehr
und hofften: schon bald

zu diesem Nourouz
wissen wir: doch noch nicht
und hoffen noch immer: bald

zu nächstem Neujahr
hoffen wir: endlich vorbei
und wissen: hoffentlich genug

zu nächstem Nourouz
ahnen wir: jetzt!
und hoffen: neues Jahr, neues Glück

da kam ein Gedicht geflogen

“da kam ein Gedicht geflogen” – dieser Vers (gefunden bei Buchalov) hat es mir angetan und mich zu diesem neoromantischen Liedlein inspiriert

ich stand allein
am Wegesrand,
dacht’ mir die Welt
als blaues Land:
da kam ein Gedicht geflogen

ich fand mich
an des Meeres Strand,
entwarf mich selbst
als blaues Band:
da ist das Gedicht aufgeflogen

verschwand ins Blau
– leer meine Hand – ,
bleibt nur der Himmel mir
als blaues Pfand:
da war das Gedicht für immer entflogen