Du denkst,
ich denke,
du denkst…,
denkst du?
Du denkst,
ich denke,
du denkst,
ich denke,
du denkst…,
denke ich.
Du denkst,
ich denke,
du denkst…,
denkst du?
Du denkst,
ich denke,
du denkst,
ich denke,
du denkst…,
denke ich.
“Herzlich willkommen!”
rufen wir euch zu
und erklären eure Heimat zum sicheren Herkunftsland.
Dem Leib, der Seele
zum Vermächtnis
schenkt der Schmerz
das Schmerzgedächtnis.
Ist der Schmerz auch lange tot,
leiden Leib und Seele doch
an seinem Erbe ihre Not.
Wo aus einem “Willkommen!”
ein “Willgehen”, will heißen:
ein “Ich will, dass sie gehen” wird.
Wo man statt freundlich “Herein!”
feindselig “Raus!” ruft.
Wo der Einladung
schon bald die Ausweisung folgt.
Wo man den herzlichen Empfang
zu einer herzlosen Gefangennahme machen will.
Wo man statt eines Obdachs
eins auf’s Dach bekommt.
Wo man statt einer Herberge
nur ein “Hinweg!” findet.
Wo sich die Begrüßung
in eine Verabschiedung,
in eine Verabschiebung verkehrt.
Dort ist nicht “Die Welt
zu Gast bei Freunden”.
Dort sind arme Menschen
Fremde unter Feinden.
“Herzlich willkommen!”
rufen wir euch zu
und diskutieren über Transitzonen.
“Herzlich willkommen!”
rufen wir euch zu
und beschleunigen die Abschiebeverfahren.
Ein Versuch
Mondsüchtig.
Sonnenflüchtig.
Traumtüchtig.
Nachtzüchtig.
Dichten ist
Wortbildung:
Ein wortgebildeter
Wortbildhauer
bildet Worte aus Wörtern,
um wortzubilden.
Dichtkunst ist
Wortart:
Ein wortartiger
Wortartist
ortet Worte unter Wörtern in ihrer
Wortartenvielfalt.
Dichtung ist
Wortsinn:
Ein wortsinnlicher
Wortsinniger
sinnt nach Worten in Wörtern zur
Wortsinnfindung und
Wortsinnstiftung.
Wer loslässt,
hat die Hände frei,
heißt es.
Doch was hilft’s
im freien Fall?
Als ob man es könnte:
Die Welt anschauen, ohne sich
ein Weltbild zu machen.
Am Abend aller Tage
seufzt Gott erleichtert auf:
“Endlich Schluss!” –
und er legt sich entspannt
zur ewigen Ruhe.
Am nächsten Morgen
weckt ihn der Teufel
und lacht ihm schelmisch ins Gesicht:
“Ätsch! Angeschmiert!”
Neue Wurzeln
wollte ich Dir geben
in meiner Erde.
Meine Erde aber hat
Deine Wurzeln
nicht aufgenommen.
Meine Erde hat dafür
meine Wurzeln
abgestoßen.
So hängen nun
Deine Wurzeln und
meine Wurzeln
in der Luft –
frei von Deiner Erde,
frei von meiner Erde.
So sind nun
Deine Wurzeln und
meine Wurzeln
Luftwurzeln,
die Halt finden,
indem sie einander umschlingen.
Inspiriert ist dieses Gedicht von der Bezeichnung “LuftwurzelLiteratur”, in die der sujet-Verlag die Exil-Literatur programmatisch umbenannt hat – ein Wort, das mich unmittelbar angesprungen hat, auch wenn es erst noch etwas in mir arbeiten musste, bis ich zu diesem Gedicht fand.