Märchenwald

Es war einmal, seufzen
die Bäume. Und wenn
sie nicht gestorben sind,
flüstert der Wind. Dann
leben sie noch heute,
singen die Blätter. Von
wegen, kichert die alte
Hexe. Einmal sterben sie
alle. Ach wie gut, dass
sie nicht weiß, wer
an ihrem Häuschen
geknuspert hat. Jetzt
erzähl doch keine
Märchen! lacht der
Wald.

Prosa in Rosa (9)

Sehr lange hatte sie nun an einem Gerät gebastelt, das es ihr ermöglichte, für jeden Baustoff die ihm eigenen Strukturen zu ermitteln und diese in Form eines rosa Netzes auf ihn zu projizieren. Damit konnte sie nun ganz erleichtert in jedes Amt gehen und musste nicht mehr fürchten, des Ungehorsams bezichtigt zu werden; denn nun war es für sie endlich möglich, der Aufforderung an den diversen Türen tatsächlich Folge zu leisten:

„Bitte einzeln eintreten!“

Leselust

für Ule (nein, keine Ode auf die Lesebrille!)

Kennst du diese Leseecke,
wo im Sessel tief mit Decke
und im Schein der Leselampe
füllt mit Büchern sich die Wampe
eine alte Leseratte,
die im Sinn nur eines hatte:

Lesefutter, Lesewut,
Bücherstapel, Bücherflut,
überall ein Lesebuch.
Eins nur wurde ihr zum Fluch:
Mit dem Alter kam die Grille
und der Zwang zur Lesebrille.

Am Lesepult, im Lesesaal
wurd’ das Lesen nun zur Qual.
Lesestoff blieb ungepflegt,
hat die Brille sie verlegt.
Ist ihr Schicksal nicht zum Steinerweichen?
Das denkt auch das Lesezeichen.

Um zu retten ihr die Leselust
half schließlich ihr das Hörbuch, just
solange sie noch hören konnte
und sie sich in Wörtern sonnte.
Die letzten Bücher, die sie las,
– ja, das war ihr letzter Lesespaß –

waren nur noch Leseschatten
für blinde, taube Leseratten.

Prosa in Rosa (8)

Aus den Tiefen ihrer Schubladen hatte sie nun doch wieder ihr Kirschblüten-Briefpapier hervorgekramt und schrieb nun viele lange Briefe, in denen sie umfassend Antwort gab auf die großen philosophischen Fragen der Menschheit nach dem Woher, Wohin und Warum – und sie erklärte die Welt in jedem Brief ein wenig anders (denn nichts erfreute ihr Herz mehr als Variation). Nun konnte die nächste Einladung kommen, und sie war vorbereitet auf diesen einen obligatorischen Satz:

“Um Antwort wird gebeten.”

Prosa in Rosa (7)

Sie hatte nun immer, wenn sie in den Park ging, eine gut mit Wasser gefüllte pinkfarbene Metallgießkanne bei sich; und in ihren blassrosa Rucksack hatte sie ihre alten rosaroten Schlittschuhe gepackt, dazu ein Kältespray. Denn sie hielt sich gern an Gesetze, so auch an die Regel, die immer auf den Parkschildern zu lesen ist:

“Rasen betreten verboten!”

Prosa in Rosa (6)

Nach reiflicher Überlegung hatte sie es endlich gekauft: das schicke Smartphone in Roségold. Und einen ganzen Nachmittag lang hatte sie nun fleißig die Telefonnummern von Apotheken und Ärzten aus der näheren Umgebung in ihr Handy-Telefonbuch eingegeben. Denn nun konnte sie immer sofort tätig werden, wenn es wieder hieß:

“Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Ihren Apotheker.”