Schatten

Ich bin nicht
Dein Schatten,
mein Schatten
sollst auch Du nicht sein.

Ich stehe nicht
in Deinem Schatten,
in meinem Schatten
sollst auch Du nicht stehen.

Doch kann ich nicht
über meinen Schatten springen,
über Deinen Schatten springen
sollst jedoch auch du nicht.

Du wirfst auf mich
keinen Schatten,
keinen Schatten
möchte ich auf Dich werfen.

Du bist
mein Licht,
Dein Licht
lass mich sein.

Gastfeindschaft

Wo aus einem “Willkommen!”
ein “Willgehen”, will heißen:
ein “Ich will, dass sie gehen” wird.

Wo man statt freundlich “Herein!”
feindselig “Raus!” ruft.

Wo der Einladung
schon bald die Ausweisung folgt.

Wo man den herzlichen Empfang
zu einer herzlosen Gefangennahme machen will.

Wo man statt eines Obdachs
eins auf’s Dach bekommt.

Wo man statt einer Herberge
nur ein “Hinweg!” findet.

Wo sich die Begrüßung
in eine Verabschiedung,
in eine Verabschiebung verkehrt.

Dort ist nicht “Die Welt
zu Gast bei Freunden”.
Dort sind arme Menschen
Fremde unter Feinden.

Luftwurzeln

Neue Wurzeln
wollte ich Dir geben
in meiner Erde.

Meine Erde aber hat
Deine Wurzeln
nicht aufgenommen.

Meine Erde hat dafür
meine Wurzeln
abgestoßen.

So hängen nun
Deine Wurzeln und
meine Wurzeln
in der Luft –
frei von Deiner Erde,
frei von meiner Erde.

So sind nun
Deine Wurzeln und
meine Wurzeln
Luftwurzeln,
die Halt finden,
indem sie einander umschlingen.

Inspiriert ist dieses Gedicht von der Bezeichnung “LuftwurzelLiteratur”, in die der sujet-Verlag die Exil-Literatur programmatisch umbenannt hat – ein Wort, das mich unmittelbar angesprungen hat, auch wenn es erst noch etwas in mir arbeiten musste, bis ich zu diesem Gedicht fand.

Geschlossene Gesellschaft

„Geschlossene Gesellschaft!“
Ja, wir feiern Party, unentwegt.
Aber ihr seid nicht eingeladen.
Denn wir wollen unseren Kuchen mit niemandem teilen,
schon gar nicht mit euch.

„Bitte nicht stören!“
Ja, wir wollen unter uns bleiben.
Wir wollen ganz ungestört unseren dreckigen Geschäften nachgehen,
und wir verdienen am meisten an euch,
wenn ihr draußen bleibt.

„Wir müssen draußen bleiben.“
Hier ist kein Raum für Humanität.

Rosengarten. Kein Liebesgedicht

In Erinnerung an Lynn Anderson,
“I beg your pardon, I never promised you a rose garden”

Ich hab dir nie
einen Rosengarten
versprochen.

Ich hab für dich
rote Rosen regnen lassen,
bis dir der Atem schwand
unter all dem Rosenduft.

Ich hab dich
auf Rosen gebettet,
bis du dir die Haut blutig ritztest
an ihren Dornen.

Ich lasse dich
das Leben in Rose,
das Leben in Rosa sehen,
solange bis uns begraben
die welken Blätter.

Einen Rosengarten aber
hab ich dir nie
versprochen.