Stille, du

Stille, du –
bist doch nur
eine Illusion: hören
kann ich deinen Atem –
laut

ein Klang –
nicht Laut, nicht Ton:
ein stilles Rauschen zwischen
zwei Geräuschen

Stille, du –
schenkst uns die
schönste Illusion: dein Atem
lässt noch die Totenstille
– hörbar – nach Leben
klingen

Stille. Ein zweiter Versuch

“eine ohrenbetäubende Stille”, so schreibt Kagge in seinem Buch ‘Stille. Ein Wegweiser’, habe er vernommen auf seinem Weg zum Südpol – was für ein Wort!

still will ich Gedichte
schreiben, worin die Wörter lauthals
schweigen: und in diese

ohrenbetäubende Stille

fällt stumm ein letztes Wort
aus dem Schlund des Schweigens:
wie leis’ es doch mein Auge blendet!

schneien möcht ich

Lyrifants Adventskalender 2023
Türchen 14

Ja, weit vor der Zeit, ich weiß. Aber der “snow”-Impuls von #inktober neulich hat mir in Erinnerung gerufen, dass ich doch mal ein Schnee-Büchlein basteln wollte, und den ersten Versuch sehr Ihr hier auf Lyrifants Editionen.

(Inzwischen gibt es noch eine zweite Version dieses Schnee-Büchleins, die nun den Text selbst zum Schneien bringt – zumindest in Eurer Phantasie).

(1)

schneien
möcht ich
in stillen Flocken
die schwarze Erde
in tiefe Weiße
schreiben

(2)

schneien
möcht ich
in dicken Flocken
schreiben
in den eisblauen See
in den schneeweißen Schnee

(3)

schneien
lasst mich
in die guten Stuben
rein schreiben
die weiße Wand
auf weißem Papier

(4)

zuschneien
lasst mich
in Sternenflocken
eure Fenster und Türen
zuschreiben
mit der Weisheit
ewiger Weißheit

(5)

einschneien
möcht ich
Weiß auf Weiß
unsere alte Welt
einschreiben
in mein weißestes Weiß
einsinken
möge sie in meine
ewige weiße Ruhe

Puddingtage

es gibt Tage, die schmecken nach
Vanillepudding
(noch warm und direkt aus dem Topf
und natürlich mit dem Esslöffel)

(das Bauchweh kommt später)

und es gibt Tage, da braucht es
Vanillepudding
(noch warm und direkt aus dem Topf
und natürlich mit dem Esslöffel)

(und das Bauchweh ist dann auch egal)

Grammatik des Zweifels

ich zweifle
an mir, an dir, an Gott und Welt

ich bezweifle
grundsätzlich die Sinnhaftigkeit unseres Seins

ich erzweifle
mir die zweifelhaftesten Erkenntnisse

ich zerzweifle
alles, einfach alles

ich zweifle und zweifle
bis ich verzweifle

ich verzweifle
an mir, an dir, an Gott und Welt

wie kann ich mich nur
entzweifeln?