Seifenblasen im Kopf.
Zuckerwatte im Bauch.
Himbeerbrause auf der Zunge.
Ich knüpfe mir ein Kleid aus Gänseblümchen und
spiele mit den Murmeln vor dem Zelt aus Wolldecken.
Sehnsüchtig blicke ich den Pferdchen nach,
wie sie schweben auf dem alten Karussell,
das sich in meinem Herzen dreht.
Noch warte ich
auf die Zeit der Wunderkerzen.
AufBruch. Späte Pubertät
Das Kind im Brunnen
Das Kind
liegt im Brunnen.
Man hat den Brunnen
einst trockengelegt.
Das Kind ist nicht
ertrunken, es ist
verdurstet.
Das Kind
liegt im Brunnen.
Man hat den Brunnen
einst vergiftet.
Das Kind ist nicht
entschlafen, es ist
verendet.
Das Kind
liegt im Brunnen.
Das Kind ist so lange
zum Brunnen gegangen,
bis es – zerbrochen –
hineingefallen ist.
Gute Genesung!
Auch eine gesunde Reaktion
auf eine ungesunde Situation
ergibt noch kein
gesundes Leben.
artig unartig
unartig schimpfen
mich die, die mich
artig haben wollen
dabei liegt es nicht
in meiner Art,
unartig zu sein
vielmehr gehört es
zu meinen Unarten,
artig sein zu wollen
unartig bin ich
nur in dem Sinne, dass ich
aus der Art schlage
artig aber will ich sein
in meiner Art:
andersartig
eigenartig
einzigartig
Funkstille
Endlich Stille.
Funkstille.
Funkenstille.
Endlich vorbei der
Funkenflug.
Endlich vorbei der
Funkenregen.
Endlich vorbei der
Funkenhagel.
Endlich nicht mehr im
Funkensturm.
Endlich im
Funkschatten.
Kein Funke sprang
über. Trotzdem
brannte es
überall.
Von meinem Funkturm
funkte ich
Funkzeichen,
Funkspruch über Funkspruch.
Doch wir funkten
auf verschiedenen Funkwellen.
Nur eine Funzel
bringt jetzt noch Licht
in die funkelnde Stille.
Endlich Stille.
Funkstille.
Und in mir wieder
ein Funken Leben.
geschrieben nach der Lektüre der Bücher “Funkstille. Wenn Menschen den Kontakt abbrechen” und “Der Sturm vor der Stille. Warum Menschen den Kontakt abbrechen” von Tina Soliman, die mir gerade sehr helfen, den späten, aber wohl unumgänglichen Kontaktabbruch zu meinen Eltern zu verarbeiten
Metamorphosen
Wem man
die Flügel stutzt,
kann nicht mehr
fliegen.
So lernte ich laufen.
Wem man
die Wurzeln abhackt,
kann nicht mehr
wachsen.
So lernte ich klettern.
Wem man
die Luft abschnürt,
kann nicht mehr
atmen.
So lernte ich tauchen.
Wem man
die Augen aussticht,
kann nicht mehr
sehen.
So lernte ich fühlen.
Wem man
die Hände bindet,
kann nicht mehr
greifen.
So lernte ich denken.
Wem man
das Maul stopft,
kann nicht mehr
sprechen.
So lernte ich schreiben.
Wem man
die Liebe versagt,
kann nicht
leben.
So lernte ich lieben.
Wo meine Worte nur
Wo meine Worte nur
von tauben Ohren gehört
von blinden Augen gelesen
von stummen Sinnen vernommen
werden
Wo meine Worte nur
in einen falschen Hals
in ein wundes Hirn
in ein kaltes Herz
kommen
Wo meine Worte nur
unverstanden
missverstanden
falsch verstanden
bleiben
bleibt mir nur
der Rückzug in die
Sprachlosigkeit
Ein Fass ohne Boden
zu Boden gehen
auf schwankendem Boden
am Boden sein
und keinen Fuß auf den Boden bekommen
auf dem Boden mit beiden Beinen
den Boden unter den Füßen verlieren
ins Bodenlose fallen
ohne Netz und doppelten Boden
am Boden zerstört
verloren
verloren habe ich
das Spiel
die Schlacht
den Krieg
verloren habe ich
den Mut
den Glauben
die Hoffnung
verloren habe ich
den Überblick
das Gleichgewicht
die Fassung
verloren habe ich
die Spur
den Faden
die Orientierung
verloren habe ich
das Gesicht
den Kopf
den Verstand
den Atem
verloren habe ich
den Boden
unter den Füßen
verloren habe ich
mich
verloren bin ich
Adieu!
Das böse Kind
sagt euch Adieu,
weil ihr
das Gute in ihm
nicht sehen wolltet.
Das ungehorsame Kind
sagt euch Adieu,
weil ihr
seine Liebe und Treue zu euch
nicht wahrhaben wolltet.
Das undankbare Kind
sagt euch Adieu,
weil ihr
seine Dankbarkeit
nicht annehmen wolltet.
Das missratene Kind
sagt euch Adieu,
weil ihr
das, was ihm gelungen ist,
nicht wertschätzen wolltet.
Euer Kind
sagt euch Adieu,
weil ihr
dieses Kind
nicht haben wolltet.
Halbschattenkinderkind
Ich bin nicht nur ein
Halbschattenkind,
ich bin auch ein
Halbschattenkinderkind.
Im Schatten
des stets bevorzugten
erstgeborenen Bruders
der Vater.
Im Schatten
des früh verstorbenen,
weil kriegsversehrten Vaters
die Mutter.
Im Licht
einer ungleich geteilten Liebe
der Vater.
Im Licht
einer lieblosen Liebe
die Mutter.
Halbschattenkinder
also auch Ihr,
geliebte Eltern.
Tretet endlich in die Sonne,
tretet ins volle Licht
meiner verzeihenden Liebe.
Halbschattenkind
Es gab kein
Sonnenkind,
in dessen
Schatten ich stand.
Ich wurde nicht
versteckt,
weil es mich
nicht hätte geben dürfen,
aber auch nicht
ins volle Licht gestellt,
wohl weil ich kein
Wunschkind war.
Ich war kein
Ersatzteillager
für Organe,
nur eine
Ersatzlebenhalde
für unerfüllte Träume.
Ich stand im
Schatten
eines Wunschbildes,
dem ähnlich zu werden
unmöglich war.
Ich stand im
Licht
einer Liebe des Wenn,
einer Liebe des Aber,
einer Liebe des Allerdings.
Ich bin ein
Halbschattenkind.
Stell mich in die Sonne,
Liebster,
ins pralle Licht
Deiner unbedingten Liebe!