Kindheitsmuster

Du musst noch –
Du sollst doch nicht immer –
Du darfst auf keinen Fall –
Du kannst doch nicht –

Sei still –
Bleib schön brav –
Jetzt reiß dich mal zusammen –
Spiel dich doch nicht immer so auf –

Kannst du nicht hören?
Kannst du nicht besser aufpassen?
Hast du schon wieder?

Stell dich nicht so an!
Wenn du nicht -,
kommst du ins Internat!

Solange du deine Füße
unter unseren Tisch –
Wer zahlt, schafft an.

Aber ich will doch nur –
Kann ich nicht?
Darf ich nicht auch einmal?

Nein.

Vater hat Recht.
Mutter hat Recht.
Das Kind gehorcht.

Missverständnisse

Ich wollte nur
eine Grenze ziehen.

Da habt Ihr mich
ganz Eures Reiches verwiesen.

Ich wollte nur
meinen eigenen Platz finden.

Da habt Ihr mich
aus meiner Heimstatt verbannt.

Ich wollte nur
mit Euch neue Wege gehen.

Da habt Ihr mir
den Weg zu Euch zurück abgeschnitten.

Mein Weg

Mein Weg
ist
mein Weg.

Manchmal
ein Irrweg,
manchmal
ein Umweg.

Manchmal
eine Sackgasse,
manchmal
eine Einbahnstraße.

Manchmal
eine Rutschbahn,
manchmal
ein Klettersteig.

Manchmal
Kriechspur,
manchmal
Überholspur.

Aber immer
ist mein Weg
mein Weg.

Orte der Geborgenheit

wo du dich verbergen kannst,
wenn dir die Welt zu laut wird.

wo du dir Freude borgen kannst,
ohne sie zurückgeben zu müssen.

wo du immer eine Herberge findest,
sogar mitten in der Nacht.

wo man für dich bürgt,
ohne mit der Wimper zu zucken.

wo deine Burg steht,
fest und uneinnehmbar.

Anti-Schlaflied

(auf die Melodie „Schlaf, Kindlein, schlaf“)

Wach, Kindlein, wach!
Der Vater sucht nur Krach.
Die Mutter tritt noch hinterher,
da hilft dann nur noch Gegenwehr.
Wach, Kindlein, wach!

Geh, Kindlein, geh!
Die Trennung tut zwar weh.
Doch Vater, Mutter tun nicht gut,
so nimm dann endlich deinen Hut.
Geh, Kindlein, geh!

Steh, Kindlein, steh!
Ins eigne Leben geh!
Sei selbst nun Vater, Mutter dir,
vertrau auf dich, gehörst nur dir.
Steh, Kindlein, steh!

Nur Mut!

Nur Mut!
Lass zurück die Schwermut!
Übe dich in Gleichmut und in Langmut,
aber mach auch deinem Unmut Luft!
Vergiss dabei niemals die Anmut!

Sei hochmütig, wenn man dich erniedrigt,
sei demütig, wenn man dich erhebt.
Sei übermütig, wenn es um das Leben geht.

Habe Mut,
dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!

Nur Wankelmut sei deine Sache nicht,
doch sei einmütig mit dir.

Nur Mut!
Mut ist zumutbar,
in fast jeder Form,
mutmaße ich.

Veränderung

Nichts wird mehr so,
wie es war.

Du kannst weinen und klagen.
Du kannst schreien und um dich schlagen.
Du kannst mit dem Fuß aufstampfen und Nein sagen.
Du kannst träumen und dir die Zeit zurückwünschen.
Du kannst auch stehen bleiben und den Kopf in den Sand stecken.

Aber das wird nichts daran ändern:
Nichts wird mehr so,
wie es war.

Du solltest es einfach akzeptieren.
Einfach?
Nein, einfach ist es nicht,
aber es dürfte einfach das Vernünftigste sein.

Erlkönig

Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? –
Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?

                                                                                                          J. W. Goethe

„Mein Kind, was wendest du ab von uns dein Gesicht?“ –
„Siehst, Vater, du meine offenen Arme nicht?“

„Mein Kind, was versäumst du deine von uns geforderte Pflicht?“ –
„Siehst, Vater, du meine euch zugeneigten Ohren nicht?“

„Mein Kind, was glaubst du, wie man mit seinen Eltern spricht?“ –
„Siehst, Vater, du meinen zärtlich lächelnden Mund nicht?“

„Mein Kind, was sitzt du so frech über uns zu Gericht?“ –
„Siehst, Vater, du den Ring, der mein Herz umschließt, nicht?“

„Mein Kind, was reckst du so keck deinen Hals ins Licht?“ –
Siehst, Vater, du mein gebrochenes Rückgrat nicht?

„Mein Kind, was suchst du den Mann, der das Herz dir nur bricht?“ –
„Siehst, Vater, du meine vor Liebesglück strahlenden Augen nicht?“

Dem Kinde graust’s, es reitet geschwind,
durch seine Seele bläst eisiger Wind.
Es findet das Tor mit Mühe und Not,
in seinem Herzen das Kind war tot.

Der Erlkönig sieht’s,  dreht um und spricht:
„Meiner bedarf es hier nicht.“

Spätes Wiegenlied

Du bringst uns noch ins Grab,
sagt der Vater.

Vatermörderin,
flüstert die Nachbarin.

Du bringst uns noch ins Grab,
sagt die Mutter.

Muttermörderin,
flüstert der Nachbar.

Vater, hast längst ins Grab mich bracht –
Mutter, hast dem Vater gholfen,
singt das Kind.

Mutter, hast längst ins Grab mich bracht –
Vater, hast der Mutter gholfen,
singt das Kind

das dem Kindbett nie entwuchs und
blieb im Sarg aus Gitterstäben.