Körpersprache

Man reicht mir die Hand
und stellt mir ein Bein.

Man nimmt mich in den Arm
und setzt mir den Fuß in den Nacken.

Man fällt mir um den Hals
und lacht mir ins Gesicht.

Man tätschelt mir die Wange
und stößt mich vor den Kopf.

Man redet mir nach dem Mund
und zeigt mit dem Finger auf mich.

Man schaut mir in die Augen
und tritt mir auf die Zehen.

Man fällt mir zu Füßen
und zwingt mich in die Knie.

Man klopft mir auf die Schulter
und fällt mir in den Rücken.

Man pinselt mir den Bauch
und gibt mir einen Tritt in den Hintern.

Ich fahre aus der Haut.

Schmerz

Wenn die Wunde
Nicht mehr schmerzt
schmerzt die Narbe.

Bertolt Brecht

Und wenn die Narbe
Nicht mehr schmerzt
Schmerzt die Erinnerung.

Und wenn die Erinnerung
Nicht mehr schmerzt
Schmerzt die Erinnerung
An die Erinnerung.

Die Zeit heilt alle Wunden.
Der Schmerz bleibt.

Lebenswundenkunde

Bisswunden
hast du,
weil du
immer wieder die Zähne zusammengebissen.

Brandwunden
hast du,
weil du
dir regelmäßig den Mund verbrannt.

Platzwunden
hast du,
nicht weil du
auf den Kopf gefallen, sondern
weil du
dich fallen gelassen.

Schnittwunden
hast du,
weil du
dich ins eigene Fleisch geschnitten.

Schürfwunden
hast du,
weil du
am eigenen Leben vorbeigschrammt.

Nachrufe

für Hans

I        Was bleibt

Du wirst immer
in unserer Mitte sein
bei jedem guten Glas Wein,
das wir trinken.

Du wirst immer
in unseren Herzen sein
bei jedem guten Konzert,
das wir hören,
bei jedem schönen Bild,
das wir sehen.

Du wirst immer
neben uns sein
bei jedem guten Gedicht,
das wir lesen.

Du wirst immer
hinter mir stehen
bei jedem Gedicht,
das ich schreibe.


II       Was fehlt

Unterbrochen
ist das Gespräch,
das wir eben erst
neu begonnen.

Zerrissen
ist das Band,
das uns gerade
zu Lyrikfreunden
neu verbunden.

Ungeschrieben
bleibt nun das Kapitel,
das unsere fragile Freundschaft
neu aufgeschlagen.

 

III     Was hilft

Nachrufen
möchte ich Dir

Worte im Scherz und
Worte im Ernst,
die ich Dir noch hätte sagen wollen,

Geschichten
aus der Welt des Alltags und der Phantasie,
die wir uns nun nicht mehr erzählen können,

Gedichte,
geschriebene und ungeschriebene,
die Du nun nicht mehr lesen wirst.

Ach, gäbe es nur einen Ort,
wohin ich Dir all die
ungesagten Worte,
unerzählten Geschichten
ungelesenen Gedichte
nachrufen könnte!

Was hilft’s:
Ich werde diesen Ort,
den Port meiner Nachrufe,
meiner Rufe Dir nach
finden müssen
in mir.

Empfehlung

Um nicht verrückt zu werden:
Gib dir einen Ruck und
verrück dich selbst,
rück ein Stück und
verrück dich Stück um Stück und
entrück dich so
dem alltäglichen Wahnsinn.

Zum Lachen

Lachen ist die beste Medizin,
sagt man.
Dass ich nicht lache!

Ich habe nichts zu lachen.
Mir ist nicht zum Lachen zumute.

Sie haben gut lachen!

Mir ist das Lachen vergangen
oder auch nur im Halse stecken geblieben,
so dass ich nicht mehr
aus vollem Halse lachen kann.

Sie werden lachen,
aber ich habe das Lachen verlernt.

Es wäre doch gelacht,
wenn ich darüber nicht lachen könnte.

Es darf gelacht werden!

Ich in mir

Es ist so
LAUT
in mir.
Ich kann
mich
nicht hören.

Liebes Ich,
bring mich zur Ruhe,
damit es wieder
STILL
werde in mir
für Deinen Ruf.

Es ist so
DUNKEL
in mir.
Ich kann
mich
nicht sehen.

Liebes Ich,
leuchte mir den Weg,
damit es wieder
HELL
werde in mir
für Deinen Anblick.

Es ist so
VOLL
in mir.
Ich kann
mich
nicht fühlen.

Liebes Ich,
räum mit mir den Schutt beiseite
damit es wieder
LEER
werde in mir
für Deine Nähe.

Lob auf den Freitod

Sich das Leben nehmen,
um es sich zurück zu geben,
um es ganz fest zu halten,
es mit Händen und Füßen zu ergreifen,
damit es wieder Hand und Fuß bekommt.

Sich umbringen,
sich um das Leben bringen,
sich um das Leben herum bringen
zum Wesentlichen,
sich mit Aug und Ohr um das Leben bringen,
um es neu zu sehen und zu hören.

Hand an sich legen,
um sich selbst in die Hand zu nehmen,
endlich an die Hand zu nehmen,
sich in die eigenen Hände zu legen.

Sich selbst töten,
damit das Selbst leben kann.