#frapalymo 11-nov-16: abstrakte tiere

Für den elften Impuls – wählt einen oder zwei begriffsstudiobegriffe und bindet diese in euren text ein – bräuchte ich viel mehr Zeit (allein schon zum Durchstöbern und Durchforsten des Rinckschen Begriffsstudios), das gibt mein momentanes Arbeitsleben leider nicht her… Mein erster Impuls auf diesen Impuls war:

abstrakte tiere?
frau rinck, ich kapituliere.
vor diesem sammelsurium,
da knie ich nieder, stumm

Doch nächtens haben die “abstrakten tiere” dann doch noch ein wenig in mir rumort – und dies ist das (vorläufige) (nicht-amtliche) Endergebnis:

abstrakte tiere*

die ung, die frisst mir aus der hand
die heit, die keit stets elegant und sehr charmant
das tum ist etwas träge
die schaft dagegen rege
am klügsten ist das wesen
denn es kann schließlich lesen

doch wenn ich mal ganz ehrlich bin
und eben mal so weiterspinn‘
dann sind mir die vampierchen**
nun doch die lieberen tierchen
das un, das ent, das miss
und auch das zähnereiche dis
sie beißen ganz erfrischlings***
die lers, die lings, das dings

im wörterzoo sind sie alle vertreten
die hohen, die kleinen
die schlichten, die feinen
die abstrakten wie die konkreten

*Nr. 3267
**Nr. 3104
***Nr. 3524
aus Monika Rincks “Begriffsstudio”

Sichtweisen

keine Einsicht ohne Aussicht
unter Aufsicht keine Zuversicht
keine Ansicht ohne Absicht
in der Vorsicht weder Nachsicht noch Rücksicht
ohne Umsicht keine Übersicht

bei Fernsicht nicht unbedingt Weitsicht
bei Nahsicht nicht unbedingt Scharfsicht
bei Klarsicht nicht unbedingt Hellsicht

nach Durchsicht nicht zwangsläufig Durchblick

Selbstporträt, exozentrisch-exzentrisch

Ein Querkopf
mit zwei linken Händen,
janusköpfig:
ein Dickkopf und
ein Kindskopf dazu.

Ein Blondschopf in Kindertagen,
blauäugig noch immer,
ein Dickwanst geworden,
schon immer ein Blaustrumpf und
eine Brillenschlange.

Den einen ein Freigeist,
den anderen ein Quälgeist,
durch und durch eine Nervensäge.
Doch leider auch
ein Hasenfuß.

Kein Großmaul, kein Schlitzohr,
kein Langfinger, doch auch kein Milchgesicht,
vielleicht ein Grünschnabel,
manchmal auch eine Lästerzunge,
ein Trotzkopf ja, ein Dummkopf? – nein.

Eine nicht ganz konsequente Spielerei mit dem Possessivkompositum…

Herzschlagworte

Und noch ein zweites – diesmal ausschließlich mit Material aus dem “Reizwörterbuch. Für Wortschatzsucher” von Ulrich Namislow!

Eine Wortschatzinsel
im Stilblütenmeer,
Worthülsenfrüchte
von der Sprachmüllhalde:
eine Fremdwortmeldung
für den Wörterbuchhalter.

Stets Kleinlautmalerei
beim Reimpaarlauf,
Zauberwortgefechte
im Wortwahlkampf –
die Wortspielzeugkiste:
eine Satzbaustelle.

Fehlerquellensteuer
für Hauptwortbruch.
Rabenmuttersprache
sucht Überschriftsteller.

Mein Freiluftschloss. Eine Traumhausgrille

eine Überlandhausküche
aus einem alten Götterspeisewagen
nebst Beerenleseecke

ein Dauerwellenbad
mit Duftwasserfall
und Tiefseeblick

ein Innenweltraum
mit Weltalleingang
und Glückssternwarte

eine Liebesspielwiese
im Windrosengarten
mit Irrwegerecht

am Ende der Musikzimmerflucht
ein Halbschattenkabinett
aus Spiegelbilderrahmen

vor einer Puppenwagenburg
ein Denksportplatz
für Schaukelpferdrennen

ein Schönschreibtisch
vom Arbeitszimmerservice
für den festen Mußestundenplan

hinter den Abendglockenblumen
eine Rückzugbrücke
nebst Unterschlupfwinkel

ein Zweitwohnzimmer
mit Mondlichtschalter
und Weihrauchmelder

und hinter dem Eisblumenmeer
das Wichtigste:
das Winterschlafzimmer

 

Den Impuls zu diesem Gedicht gab das Wort Winterschlafzimmer, auf das ich bei Ulrich Namislow in seinem Buch “Reizwörterbuch. Für Wortschatzsucher” (erschienen in der Reihe “Neues Buch” im Logo Verlag von Eric Erfurth) gestoßen bin. Ein Winterschlafzimmer – so etwas wollte ich schon immer mal haben! Und ich überlegte, wie ich Luftschlossherrin – auch so ein Wort aus diesem Buch – werden könnte…
Und so fing ich an zu bauen – ausschließlich mit “Kofferwörtern”, eigenen und solchen aus diesem wunderbaren Buch. Dem Buch entnommen habe ich die folgenden Preziosen: Götterspeisewagen, Duftwasserfall, Innenweltraum, Weltalleingang, Glückssternwarte, Liebesspielwiese, Irrwegerecht (ja, das sollte man unbedingt haben!), Musikzimmerflucht, Spiegelbilderrahmen, Puppenwagenburg, Schaukelpferdrennen, Mußestundenplan (absolut unverzichtbar!), Abendglockenblumen, Rückzugbrücke, Mondlichtschalter, Weihrauchmelder und eben das wunderbare Winterschlafzimmer.  Leider keine Verwendung fanden: Backpulverturm, Lebenslaufsteg, Wandervogelkäfig, Triebfederbett, Tiefschlafsack und so viele weitere schöne Wortbildungen. Ich kann einfach nur empfehlen: Holt Euch dieses Buch – es macht lesevergnügungssüchtig!

Dinge

Unverrichteter Dinge vor
den letzten Dingen zu stehen,
ist, solange es mit rechten Dingen zugeht,
nicht jedermanns Ding.
Wer nicht über den Dingen steht
und nicht einfach der Dinge harrt, die da kommen,
der dreht noch rasch ein krummes Ding
und hofft dann, guter Dinge,
auf ein Ding der Unmöglichkeit, bevor ihm das Leben trotzdem
so ein Ding verpasst, dass er nur noch rufen kann:
“Das ist vielleicht ein Ding!”

Rondo potentialis

wäre würde hätte könnte:
ich kann wie ich kann
könnte ich wie ich nicht kann
könnte ich nicht wie ich kann

könnte wäre würde hätte:
ich habe was ich habe
hätte ich was ich nicht habe
hätte ich nicht was ich habe

hätte könnte wäre würde:
ich werde wozu ich werde
würde ich wozu ich nicht werde
würde ich nicht wozu ich werde

würde hätte könnte wäre:
ich bin was ich bin
wäre ich was ich nicht bin
wäre ich nicht was ich bin

wäre würde hätte könnte:
ich kann und ich habe
und ich werde und ich bin
was ich kann was ich habe
was ich werde was ich bin

Kalligraphie – Zweite Version

Ich schriebe mein Leben
gern in Schönschrift.

So schreibe ich mir
mein Leben schön,
mein Leben ins Schöne.

Und schreibe für
mein Leben schön
mich schön für
mein Leben. Und
schreibe mich schön
um mein Leben.

So schreibe ich
um mein Leben.
Schön.

Angeregt durch den Kommentar von wortwerkzeug zu meiner ersten Version hab ich noch mal nachgedacht und am Kalligraphie-Gedicht noch etwas weiter gefeilt. Wie gefällt Euch das Ergebnis?

Kalligraphie

Ich schreibe
mein Leben
in Schönschrift.

Ich schreibe mir
mein Leben
schön.

Ich schreibe mir
mein Leben
ins Schöne.

Ich tu meinem Leben
schön:
Ich schreibe.

Ich lebe mein Leben
schön:
Ich schreibe.

Ich schreibe
für mein Leben
schön.

Ich schreibe mich
schön
für mein Leben.

Ich schreibe mich
schön
um mein Leben.

Ich schreibe
um mein Leben.
Schön.

maulfaul

maulfaul,
singt das schreibweib,
bin ich beileibe nicht:
ich liebe verse tanglang,
dagegen sprüche furzkurz.
ich mag pointen darmwarm
und metaphern kloßgroß,
die gedanken eher jochhoch
und die moral schweinrein.
ich hab’s gern steinklein
und mieftief, doch
kein scheitbreit charme-arm,
lieber strengeng,
aalschmal und
blickdick, aber
dafür zeitweit.

bin ich nun scheichreich
an hirnzwirn
und sitzwitz –
oder einfach nur
krummdumm?