Fünfzig Gründe

Mindestens fünfzig Gründe
kann ich dir nennen,
die dagegen sprechen,
die Heimat zu verlassen.

Die Mutter.
Der Vater.
Die Schwester.
Der Bruder.
Der Mann. Die Frau.
Das Kind. Die Kinder.
Die Enkel.
Die Ahnen.
Die Freunde.
Die Menschen.

Der Berg. Das Tal.
Die Steppe. Die Wüste.
Der See. Das Meer. Der Fluss.
Der Stein.
Der Baum. Der Strauch.
Die Tiere. Die Vögel.
Die Erde unter deinen Füßen.
Der Himmel über dir.
Die Sonne. Die Wolken.
Der Wind in deinem Haar.

Die Stadt. Das Dorf.
Die Straße. Der Weg.
Die alte Brücke.
Die neue Schule.
Das Haus.
Der Hof. Der Garten.
Der Tisch. Das Bett.
Das alte Bild.
Der Blick durch die Tür.
Der Blick aus dem Fenster.

Die Sprache.
Die Küche.
Die Lieder.
Die Tänze.
Die alten Geschichten.
Die alten Bräuche.
Die vertrauten Kleider.
Die vertrauten Gesten.
Das gemeinsame Lachen.
Das gemeinsame Weinen.

Die Erinnerung.
Die Hoffnung.
Der Glaube.
Die Liebe.
Die Verantwortung.
Das Schuldgefühl.
Die Trauer.
Die Angst.
Die Ohnmacht.
Das Heimweh.

Wie groß muss das Leid sein,
wenn man trotz dieser guten Gründe
sein Land verlässt,
wenn man trotzdem flieht?

Aus dem Takt

Takt für Takt
immer im Takt
immer intakt

mach den Auftakt
gib den Takt an
schlag den Takt
halt den Takt
bleib im Takt

für ein paar Takte
Kontakt

wir wechseln den Takt
im Minutentakt
im Sekundentakt
im Dreivierteltakt

alles getaktet
alles taktiert
alles nur Taktik
nur scheinbar taktil

scheinbar taktvoll
scheinbar taktfest
und doch taktlos

sei so mit Takt
aus dem Takt
gebracht

Ich habe Angst

Ich habe Angst
vor diesen engen Ängsten
jener grundlos Verängstigten,
die fürchten,
es könnte eng werden
in diesem Land
für sie.

Ich habe Grund zur Angst
vor diesen engstirnigen
und engherzigen Ängstlichen,
die mich fürchten lassen,
es könnte eng werden
in diesem Land
für dich und mich.

Mir wird angst und bange
angesichts dieser vielen Angsthasen,
die sich von diesen fürchterlichen Angstfüchsen
gründlich verführen und führen lassen,
ohne zu befürchten,
es könnte eng werden
in diesem Land
für alles,
wofür es sich lohnte
hier zu leben.

Ich habe Angst.

Wir sollten trauern

Wir sollten trauern
um die Toten

und nicht
die Toten
zum Argument machen für
liberté, égalité, fraternité

Wir sollten trauern
um die Toten

und nicht
im Namen der Toten
liberté, égalité, fraternité
heucheln

Wir sollten trauern
um die Toten

und nicht
so tun, als ob
wir die Toten seien
(was wir nie waren
und nicht sind)

Wir sollten trauern.

An die Uneinsichtigen

Wer sich selbst und andere kennt,
Wird auch hier erkennen:
Orient und Okzident
Sind nicht mehr zu trennen.
(Johann Wolfgang Goethe, West-Östlicher Divan)

Das Abendland rettet
nur, wer auch ein Herz für
Das Morgenland hat.

***

Eigentlich mache ich das nicht in meinem Blog, aber bei diesem Thema muss ich doch einladen, diesen Aufruf zu unterstützen: Für ein buntes Deutschland.

Die großen Schieber

Sie schieben große Projekte an.
Sie schieben nötige Reformen auf.
Sie schieben eben mal einen Krieg ein.

Sie schieben Probleme beiseite.
Sie schieben Hindernisse aus dem Weg.
Sie schieben Flüchtlinge ab.

Sie schieben sich überall durch.
Sie schieben sich allzeit in den Vordergrund.
Sie schieben sich in die erste Reihe.

Sie verschieben Termine.
Sie verschieben Immobilien.
Sie verschieben Geld, das ihnen nicht gehört.

Sie schieben uns ihre Schulden unter.
Sie schieben uns die Schuld zu.

Geben wir den großen Schiebern
doch mal einen kleinen Schubs.
Schubsen wir sie doch ein bisschen an.
Schubsen wir sie doch einfach um.
Schubsen wir sie doch endlich weg.

Die Würde des Menschen

Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Eberswalde. Hoyerswerda.
Rostock-Lichtenhagen.
Mölln. Solingen.

Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und
die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses
sind unverletzlich.

Nürnberg-Ost. Nürnberg-Südstadt.
Hamburg-Bahrenfeld. München-Ramersdorf.
Rostock-Toitenwinkel. Nürnberg-Gleißhammer.
München-Westend. Dortmund-Nordstadt.
Kassel. Heilbronn.

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

Templin. Magdeburg.
Dresden. Leipzig.
Wo noch überall?

Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
Die Freiheit der Person ist unverletzlich.

Wo noch überall?
Wo noch überall?

Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Zum Volkstrauertag