Erklärt mir den Krieg

Erklärt mir den Krieg, wenn
ihr mir schon den Frieden
nicht erklären könnt.

Was ich bereits weiß:
Wo Krieg herrscht, dort
kann Frieden nicht herrschen.
Wo Frieden herrscht, dort
kann Krieg die Herrschaft an sich reißen.

Was ich auch schon weiß:
Frieden wird gestiftet, jedoch
nicht, indem Krieg geführt wird.
Frieden wird verhandelt, jedoch
nicht, indem Krieg Handel ist.

Was ich auch noch weiß:
Kriege werden gewonnen.
Kriege werden verloren.
Immer beides zugleich.
Frieden wird geschenkt.

Erklärt mir den Krieg, wenn
ihr mir schon den Frieden
nicht erklären könnt.

Was uns geblieben ist

Einen Tag nach dem Hanau-Gedenktag – noch fassungslos, wie man seitens der Politik noch zwei Jahre nach dem Anschlag “lückenlose Aufklärung” versprechen kann, ohne rot zu werden – und gefühlt einen Tag vor einem vielleicht dritten Weltkrieg musste ich nun einfach zu solch plakativen Mitteln greifen.

Lyrifants Anti-Kriegs- und Anti-Faschismus-Plakat

Wer erklärt mir den Krieg?

eingedenk der Ostermärsche 2017

Wer erklärt mir den Krieg?
Kriegt da jemand
vom Kriegen nicht genug –
und was kriegt der Krieger?

Wer führt Krieg – und wohin?
Und wie sieht jemand aus, den
man mit Krieg überzieht?

Kann man Truppen auch
per Mail entsenden?
Und was bleibt von ihnen übrig,
wenn man sie zusammenzieht?

Bei welcher Lotterie kann ich
einen Krieg gewinnen?
Und wo kann ich ihn wiederfinden,
wenn ich ihn verloren habe?

Was ist eine gelungene
Operation – und wer ist der Arzt,
wer der Patient?

Was genau entscheidet eine Schlacht?
Und wer muss bluten
in den vielen blutigen Schlachten?

Wohin flieht
ein ausgebrochener Krieg?
Und wer nimmt dann
den Kampf auf?

Stehen Gefallene wieder auf und
stehen dann die Waffen still?
Und wer eröffnet dann das Feuer?

Ist beim Friedensschluss
der Friede am Ende?
Wer herrscht, wenn
Friede herrscht?
Und wo kann ich
Frieden stiften?

Wer erklärt mir den Krieg?

verkehrte welt

für Aleppo und die vielen anderen Orte des Grauens

die gebliebenen
beneiden die geflohenen
die geflohenen wünschen
geblieben zu sein

die verwundeten
beneiden die toten
die toten wünschen
nie geboren zu sein

die neugeborenen
beneiden die ungeborenen
die ungeborenen wünschen
nie geboren zu werden

die lebenden
beneidet niemand mehr
die sterbenden wünschen
nur noch tot zu sein

auf frieden hofft
hier niemand mehr

Der Satz in den Nachrichten “Die Verwundeten beneiden die Toten” hat mich aus meiner Sprachlosigkeit geholt.

lasst uns weinen

wir weinten mit
Paris

wir weinen nun mit
Brüssel

wir weinten auch mit
New York
Madrid
London
und Moskau

und wir weinen nun auch mit
Ankara
und Istanbul

lasst uns auch weinen mit
Aleppo
Asadabad
Bagdad
Basra
Beirut
Damaskus
Erbil
Falludscha
Haditha
Homs
Iskandarija
Kabul
Kandahar
Kano
Kerbela
Kobane
Madagali
Maiduguri
Mogadishu
Mossul
Potiskum
Suruç
Takrit
Tel Tamer
Zabarmari

und all den anderen
allzu rasch wieder vergessenen
Opfern von Terror und Krieg

gegen das vergessen

Dieses Gedicht ist ein Beitrag zu der von Sylvia Kling initiierten Aktion “Gegen das Vergessen”.

gegen das vergessen: erinnern –
erinnern an die geschichten der geschichte,
die wir in unserem innern lieber verborgen halten,
inne werden dessen, was wir ausschließen,
inne werden derer, die draußen sind.

gegen das vergessen: gedenken –
gedenken der geschichten der geschichte,
an die wir nicht denken wollen,
denken an das, was ungedacht ist,
denken an die, die unbedacht sind.

gegen das vergessen: erzählen –
die geschichten der geschichte erzählen,
die wir lieber nicht zu unserer geschichte zählen,
sie unseren kindern immer wieder erzählen,
damit sie sie ihren kindern weiter- und weitererzählen.

gegen das vergessen: schreiben –
die geschichten der geschichte aufschreiben,
die noch immer ungeschrieben sind,
denen wir schon immer verschrieben sind,
damit sie sich unserem gedächtnis für immer einschreiben.

gegen das vergessen: handeln –
aus den geschichten der geschichte heute so handeln,
dass das, was gestern geschehen ist,
nicht heute,
nicht morgen,
nie mehr wieder geschieht.

Frieden ist Frieden

“Krieg ist Terror mit höherem Budget” – so titelt die ‘graswurzelrevolution’ in ihrer aktuellen Ausgabe (GWR  405, Januar 2016). Dieser Satz ist die Keimzelle für das folgende Gedicht (möglicherweise noch nicht ganz zu Ende gedacht).

Krieg ist Terror
mit höherem Budget.

Frieden ist Frieden,
unbezahlbar.

Krieg ist Terror
mit ökonomischem Gewinn.

Frieden ist Frieden,
wunderbar unrentabel.

Krieg ist Terror
mit parlamentarischer Legitimation.

Frieden ist Frieden,
herrschafts- und gewaltfrei.

Was mich jetzt doch noch sehr freut: Dieses Gedicht wird im Editorial der neuen Ausgabe der graswurzelrevolution’ (GWR 406, Februar 2016) in voller Länge zitiert – und mein Schlussvers wird als Titel für den Editorial verwendet. Die Herausgeber hatten mein Gedicht zufällig gefunden… und sich darüber gefreut. Wie schön!