Trilogie: Minnesangs Vögel – Falke

valken
ich gezamete,
starc, schoene, wilde:
vlouc in anderiu lant –
got!

Und zum Abschluss der kleinen Trilogie noch ein Elfchen: diesmal mit Material aus des Kürenbergers Falkenlied (MF 8,33). Hineingemogelt habe ich außerdem drei Adjektive aus Kriemhilds Falkentraum aus dem Nibelungenlied 🙂
Worthilfen: gezamete = zähmte; vlouc in anderiu lant = (ent)flog in andere Länder

Trilogie: Minnesangs Vögel – Schwan

ich tuon sam der swan,
der singet swenn’ er stirbet:
ein swinendes fro

Und weiter geht es mit “Minnesangs Vögeln”: Dieses Haiku verarbeitet das Bild vom Schwan, der immer dann singt, wenn er stirbt. Dieses Bild findet sich sowohl bei Heinrich von Morungen (MF 139,15-18; Venuslied) als auch bei Frauenlob (GA Lied 4, Strophe XIV,9). Der letzte Vers stammt von Frauenlob und bedeutet ‘ein dahinschwindendes Froh’.

Trilogie: Minnesangs Vögel – Nachtigall

nahtegal
schône sanc
under der linden
dâ unser zweier bette –
tandaradei

Die Idee, eigene kleine Texte mit dem Sprachmaterial mittelhochdeutscher Minnelieder zu machen, kam über einen Impuls von ‘Frau Paulchens Lyrischem Monat’. Nach “Minnesangs Farben” (die unmittelbar aus dem Impuls entwickelt wurden) habe ich mir nun die minnesängerische Vogelwelt vorgenommen. Als erstes habe ich das berühmte ‚Lindenlied‘ Walthers von der Vogelweide (L. 39,11) auf ein Elfchen reduziert…
Worthilfen: schône = auf schöne Weise; dâ = wo / dort; tandaradei = Interjektion, den Ruf der Nachtigall nachahmend

Trilogie: Minnesangs Farben – Blau

secht, wie ez tunkel blawet!
Ein Blaues Tanka von Frauenlob

ich clage min not:
baz dem munde zeme ein
liljenwizes ja

dann ein nein von jamer bla –
secht, wie ez tunkel blawet!

 

Für dieses Blaue Tanka habe ich Verse aus drei Gedichten von Frauenlob (Heinrich von Meißen) zusammengeschmiedet: Der Eingangsvers stammt aus Lied 6, Strophe 2, Vers 1; der Mittelteil aus Lied 2, Strophe 2, Verse 5f.; der Schlussvers stammt aus dem Spruch VII,29, Vers 1 (zitiert nach der Göttinger Ausgabe von Karl Stackmann und Karl Bertau).
Inspiriert wurde diese Trilogie und speziell dieses Gedicht durch Sophie Paulchens #frapalymo im November 2016 (Impuls No. 21).

Worthilfen: tunkel = dunkel; baz = besser; zeme = wäre angemessen; dann = als

Trilogie: Minnesangs Farben – Rot

rôtez mündelîn
Ein Rotes Elfchen von Heinrich von Morungen

daz
ein lützel
was versêret ir
vil vröuden rîchez rôtez
mündelîn

 

Für dieses Rote Elfchen habe ich einen Vers aus dem Narzisslied Heinrichs von Morungen “Mir ist geschehen als einem kindelîne” (zitiert nach Minnesangs Frühling, MF 145,1, Strophe 2, Verse 7f.) neu angeordnet. Der enigmatische Vers über die unerklärte Verletzung des roten Mündleins der Minnedame bekommt eine – wie ich finde – zu ihm gut passende Form: Steigerung mit dem “mündelîn” als Höhe- und Kristallisationspunkt des Gedichts.
Inspiriert wurde diese Trilogie und speziell dieses Gedicht durch Sophie Paulchens #frapalymo im November 2016 (Impuls No. 22)

Worthilfen: lützel = wenig; versêret = verletzt, verwundet

Trilogie: Minnesangs Farben – Grün

Ez grüenet wol diu linde breit
Ein Grünes Pantun von Dietmar von Aist

Ahî, nu kumt uns diu zît,      der kleinen vogellîne sanc.
ez grüenet wol diu linde breit,      zergangen ist der winter lanc.
nu siht man bluomen wol getân,      an der heide üebent sî ir schîn.
des wirt vil manic herze vrô,      des selben entroestet sich daz mîn.

Ez grüenet wol diu linde breit,      zergangen ist der winter lanc.
ûf der linden obene     dâ sanc ein kleinez vogellîn.
des wirt vil manic herze vrô,      des selben entroestet sich daz mîn,
sît ich bluomen niht ensach    noch enhôrte der vogel sanc.

Ûf der linden obene     dâ sanc ein kleinez vogellîn.
sît was mir mîn vröide kurz    und ouch der jâmer alzelanc.
sît ich bluomen niht ensach    noch enhôrte der vogel sanc.
vor dem walde wart ez lût.     dô huop sich aber daz herze mîn.

sît was mir mîn vröide kurz      und ouch der jâmer alzelanc.
nu siht man bluomen wol getân,      an der heide üebent sî ir schîn.
vor dem walde wart ez lût.       dô huop sich aber daz herze mîn.
Ahî, nu kumt uns diu zît,      der kleinen vogellîne sanc.

 

Der Farben-Formen-Trilogie-Impuls von Sophie Paulchen hat nun bei mir noch etwas ganz anderes freigesetzt. Schon lange reizt es mich, etwas Lyrisches mit den von mir so heiß geliebten Minnesängern zu machen. Und nun war da plötzlich die Idee: einfach das mittelhochdeutsche Sprachmaterial zu einer neuen Form zusammensetzen – und das noch farblich inspiriert.

Für das Grüne Pantun habe ich acht Verse von Dietmar von Aist verwendet. Meine erste Strophe entspricht der ersten Strophe aus dem Lied “Ahî, nu kumt uns diu zît” (zitiert nach Minnesangs Frühling, MF 33,15) – mit einer kleinen Änderung: das “troesten” ist bei mir negiert. Die weiteren vier Verse stammen aus der vierten und fünften Strophe desselben Liedes.
Inspiriert wurde dieses Gedicht wie die ganze Reihe durch Sophie Paulchens #frapalymo im November 2016 (hier: Impuls No. 23).

Worthilfen: ahî = Ausruf der Freude wie des Schmerzes; wol getân = schön; üebent sî ir schîn = zeigen sie ihren Glanz; entroestet = findet keine Hoffnung; daz mîn = das meine (gemeint: mein Herz);  sît = weil (oder auch: später); alzelanc = viel zu lang; ensah = sah nicht; enhôrte = hörte nicht;  wart ez lût = wurde es laut, erklang es; huop = erhob sich, schwang sich auf

Entzauberung

Ein – vorläufig – letztes Gedicht aus dieser Serie…

Geblendet hat mich einst
der hellsichtige Blitz Deines Lächelns.

Blind blicke ich nun
in die trübnebligen Augen Deiner Träume.

Betäubt hat mich einst
der lautstarke Sturm Deiner Begeisterung.

Taub lausche ich nun
in die stumpf donnernden Ohren Deiner Sorgen.

Gelähmt hat mich einst
der rege überlaufende Regen Deiner Lebensfreude.

Lahm tappe ich nun
in die matt verschneiten Hände Deiner Ängste.

Verstummen ließ mich einst
die wortlos singende Sonne Deiner Liebe.

Stumm spreche ich nun
in den tonlos wolkigen Mund Deines Schweigens.

Vom Zauber der Liebe

Dritte Version zu “Vollkommene Liebe” im Nachgang zu “Geschichte und Gegenwart

für Ule Rolff als Dankeschön für die Ermunterung zum Weiterspinnen des blind-taub-stumm-Motivs 🙂

geblendet
vom Licht Deines Blickes
höre ich Dich
stumm
mit blinden Ohren

betäubt
vom Klang Deiner Stimme
singe ich von Dir
blind
mit taubem Mund

verstummt
im Wort Deiner Liebe
schaue ich Dich an
taub
mit stummen Augen

Geschichte und Gegenwart

immer wieder
blinde Flecken
taube Stellen
stumme Zeugen

immer wieder
stummer Schmerz
blinde Wut
taubes Gefühl

immer wieder
taube Ohren
stummer Schrei
blinde Gewalt

und immer wieder
blind für Not und Elend
taub gegen alle Vernunft
stumm vor Entsetzen

Mich hat das blind-taub-stumm-Motiv noch nicht ganz losgelassen. Dies hier ist noch eine ganz andere Variante…

Vollkommene Liebe

Erste Version

Wir sprechen miteinander
stumm, taub
spüren wir einander.

Wir hören einander
taub, blind
vertrauen wir einander.

Wir sehen einander
blind, stumm
verstehen wir einander.

 

Zweite Version

wir sehen
erkennen einander
blind
vertrauen wir einander

wir hören
vernehmen einander
taub
spüren wir einander

wir sprechen
reden miteinander
stumm
verstehen wir einander

 

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