Schmerztagebuch

Donnerstagmorgen: klopft er noch höflich an
Donnerstagmittag: klopft und klopft und klopft er
Donnerstagabend: hat er mich schon weich geklopft

Freitagmorgen: pocht er stumpf und dumpf
Freitagmittag: pocht er bestimmt auf sein Recht
Freitagabend: pocht und pocht und pocht er

Samstagmorgen: beißt er mich
Samstagmittag: beißt er sich durch mich durch
Samstagsabend: hat er mich kurz und klein gebissen

Sonntagmorgen: sticht und sticht und sticht er
Sonntagmittag: sticht und sticht und sticht er
Sonntagabend: hat er mich zu Boden gestochen

Montagmorgen: zwickt er mich
Montagmittag: zwickt und zwackt er mich
Montagabend: zwickt er mich hier und zwackt er mich dort

Dienstagmorgen: hämmert er mich wach
Dienstagmittag: hämmert er weiter und weiter
Dienstagabend: hämmert und hämmert und hämmert er

Mittwochmorgen: beginnt er zu brennen
Mittwochmittag: brennt er lichterloh
Mittwochabend: brennt er mich nieder

wieder Donnerstagmorgen: wieder klopft er

verloren

verloren habe ich
das Spiel
die Schlacht
den Krieg

verloren habe ich
den Mut
den Glauben
die Hoffnung

verloren habe ich
den Überblick
das Gleichgewicht
die Fassung

verloren habe ich
die Spur
den Faden
die Orientierung

verloren habe ich
das Gesicht
den Kopf
den Verstand
den Atem

verloren habe ich
den Boden
unter den Füßen

verloren habe ich
mich

verloren bin ich

 

Schmerz

Ich habe das große
Schmerzlos gezogen.

Jenseits der
Schmerzgrenze im
Schmerzmittelpunkt des großen
Schmerzensreiches sitze ich in
Schmerzhaft.
Schmerzvoll.
Schmerzstill.

Schmerz verzerrt mein
Schmerzempfinden:
Schmerz lindert schmerzlich die
Schmerzunempfindlichkeit.

Schmerz erfüllt das
Schmerzgedächtnis:
Keine Erinnerung mehr an
Schmerzfreiheit.

Wartend sitze ich auf der
Schmerzschwelle.

An einen ungebetenen Gast

Eingeladen
habe ich dich nicht.
Eines Tages warst du
einfach da und bist
geblieben. Hast dich
häuslich eingerichtet
in meinem Haus.

Anfangs hast du nur deine Nägel
in meine Wände geschlagen,
aber Bilder hast du keine daran aufgehängt.

Später bist du dann mit Sack und Pack
hier eingezogen,
hast zunächst ein Zimmer,
dann Küche und Bad
und schließlich das ganze Haus
in Beschlag genommen.
Du schläfst sogar in meinem Bett
und lässt mich draußen liegen.

Inzwischen hast du mein Haus und meinen Garten
mehrfach in Brand gesteckt.
Die Feuerwehr hat mich bereits aufgegeben.

Kein Rat kann mir helfen.
Kein Mittel wirkt gegen dich.
Kein Zauberspruch vertreibt dich.
Ich werde dich nicht los.
Ich leide.

O, Schmerz,
lass uns gemeinsam Bilder suchen,
das Haus aufräumen,
die Brände löschen,
damit ich wieder schlafen kann.