im Schein der Nachttischlampe les ich neue Gedichte
(an sich schon ein Glück für sich!): treff auf ein altes Wort
und lass mir weit zurück in die Erinnerung leuchten
Gedicht
o Mensch!
schneidest dir
ins fremde Fleisch
die eigene Haut
zu retten
machst dir
so deinen Kopf
dem andern das Genick
zu brechen
du bist ein einig Leib
du bist ein einig Geist
und hast die Seele verkauft
und hast dein Herz verloren
Kommentar zur Woche
Ist es nicht zu spät um aufzustehen?
Jetzt, wo wir so niedergeschlagen,
Dort, wo alles aufgemischt,
Wo öffentlich niedergelegt,
Dass wieder etwas auferstanden,
Was uns schon einmal niedergestreckt?
Aufgestört? Aufgewacht!
Bevor etwas niedergegangen,
Was nie mehr aufzurichten.
Gewissensfrage
Hand aufs Herz:
Ist der Kopf nicht am Arsch,
wo Mund, Arm und Bein
außer Kontrolle?
Kurzglückfragmente (13)
in Ules Sandbildern versinken und dabei nichts weiter als
den warmen Sand zwischen den Zehen spüren, das Meer rauschen hören
und das schauende Auge auf “nix als sand”-Spurensuche aussenden
Vom Widersinn. Ein Widerwort
Ich widerlege mich krumm
und widersetze mich aufrecht
und widerstehe mir die Füße in den Bauch.
Ich widerrede mir den Mund fusselig
und widerspreche laut und deutlich.
Und doch kommt immer wieder alles wieder,
was mir zutiefst zuwider ist.
Selbstkritische Frage
Wie kann ich nur
Kurzglückfragmente
schreiben, während
in dieser Republik
gerade wieder einmal
ein langes Unglück
heraufzieht, ungebrochen?
Kurzglückfragmente (12)
eine heiße Schokolade trinken aus der Weihnachtstasse –
warum nicht auch im August?
Kurzglückfragmente (11)
an einem tristen Hotelmorgen auf der Durchreise:
gemeinsames Frühstück mit wildem Stadtkaninchen,
es mümmelt draußen, wir mümmeln drinnen
Verbesserte Version
an einem tristen Hotelmorgen auf der Durchreise:
heimliches Frühstück mit wildem Stadtkaninchen,
es mümmelt draußen, wir mümmeln drinnen,
seine Freude am Gras, meine Freude am Tier, sie bleiben beide
nahezu unbemerkt
Kurzglückfragmente (10)
ein Netz aus Licht knüpft die Sonne um die vom Wind leicht gekräuselten Wellen
am flachen Strand: gezeichnet sind vom Blinken und Wogen der Sonnenfäden
oben das Wasser und unten der Sand
Kurzglückfragmente (9)
durch das alte Steingemäuer rankt sich ein Brombeerstrauch, großzügig lässt er uns
von seinen süßen Früchten kosten und schenkt uns mit ihrem Namen
ein noch viel köstlicheres Wort und die Gewissheit, dass es sie
tatsächlich gibt: björnbär, die Bärenbeere
(sonst hätte man sie erfinden müssen: https://lyrifant.wordpress.com/2016/08/12/von-baeren-und-beeren/)
Kurzglückfragmente (8)
hoch über den engen, von Häusern beschatteten, von Wolken beweinten Gassen
kündet das unermüdliche Lachen der Möwen von Sonne und Meer