#frapalymo 8-nov-16: „ich habe geträumt, ein baum wuchs ins zimmer. jetzt vermisse ich ihn.“

Der achte Impuls„ich habe geträumt, ein baum wuchs ins zimmer. jetzt vermisse ich ihn.“ (ein tweet von ina steg aka @tschabuhjahhh) – ist eine echte Herausforderung. Enigmatische Texte mit komplexer Bildstruktur im Kurzformat (in den Worten von Frau Paulchen: „alles gesagt, alles offen“), das ist ja nicht unbedingt mein Ding, obgleich es etwas ist, wo ich schon immer mal hinkommen wollte. Nach vielen Entwürfen und Verwürfen standen am Ende nun diese Verse da:

 

nachts, auf dem heimweg

auf meinem weg | lag plötzlich ein stern. ich
hob ihn auf und machte mich auf | den weg.

#frapalymo 7-nov-16: dreht einen text durch den automatengedichtautomaten

Dem siebten Impuls “dreht einen text durch den automatengedichtautomaten” – komme ich doch gerne nach… Schöne Ergebnisse hab ich doch gleich mit meinem letzten Text bekommen…

Fragwürdige Utopie – gewolft mit allen Einstellungen und ein bisschen nachbearbeitet

abgelaufen wunderbar
glück dir glück, könntest du
fragwürdige dose!

gesundheit vorratsschrank gesundheit
dosen wann?

Gewolfte Fragwürdige Utopie noch einmal gewolft und halbiert

gesundheit
glück wunderbar dir
wann dose du glück

Ach, das macht Spaß, das könnte ich jetzt noch ein paar Stunden machen! – doch dann hat in mir der geballte Zufall noch einen anderen Reflex ausgelöst: “Lyrik aufräumen” – so wie Ursus Wehrli mit seinen Büchern übers “Kunst aufräumen”

Fragwürdige Utopie – aufgeräumt

Bedarf, Dose, Dose, Dosen,
Gesundheit, Gesundheit, Glück, Glück,
Monaten, Vorratsschrank, Zeit, Zeit

abgelaufen, aufmachen,
frag, hättest, ist, ist, könntest,
verfällt, wäre, wäre

einfach, haltbar, lange, nötig,
schön, wunderbar

ich, dich, dir, du, du,
es, es, mich
paar

das, die,
ein, eine, eine

bei, im, in

nur: wann, wie, wieviel?

oder, und, und:
nicht, nicht
immer,
wenn, wenn, wenn

#frapalymo 6-nov-16: was alles in eine konservendose passt

Der sechste Impuls„was alles in eine konservendose passt.“ – hat mich zu einer kleinen lebensphilosophischen Reflexion angeregt, wobei mich das wohl hat eher darüber nachdenken lassen, “was alles nicht in eine konservendose passt.”

Fragwürdige Utopie

Wäre es nicht schön,
wenn du dir bei Bedarf
einfach eine Dose Glück aufmachen könntest
oder, wenn nötig, eine Dose Gesundheit?
Wäre es nicht wunderbar,
wenn du immer
ein paar Dosen Zeit im Vorratsschrank hättest?
Nur frag ich dich und mich:
Wie lange haltbar ist das Glück?
In wieviel Monaten verfällt Gesundheit?
Und: Wann ist die Zeit abgelaufen?

#frapalymo 5-nov-16: lasst euch von der musik zu einem text inspirieren

Den fünften Impuls habe ich – wie ich eben gerade bemerke – gründlich missverstanden (bin einfach zu wenig frapalymo-erfahren): Ich habe nämlich den Link übersehen… und habe mir deshalb selbst erst einmal ein passendes Musikstück gesucht, was schon eine kleine Herausforderung war! Die Goldberg-Variationen wären natürlich auch ganz toll gewesen (schade, schade! – aber das ist jetzt doch zu spät!).

Meine Wahl ist letztendlich auf Behnam Manahedji gefallen, den großen Santur-Meister, und zwar auf sein Stück “Whisper” aus dem Zyklus “Lost Desires” (zu finden auf seinem Album “Master of Persian Santoor”, 1993; das Stück “Whisper” kann man z.B. hier hören). Ich hoffe, dass ich trotzdem noch mitmachen darf, auch wenn ich – lehrerhaft gesprochen – gründlich “das Thema verfehlt” habe.

 

naǧwā*

wasser, wasser
fließt und fließt und fließt
weiter, weiter, immerfort
wasser, wasser
strudelt, sprudelt, perlt
flüstert, wispert, gluckst
weiter, weiter
durch die auen, durch die wälder
über felder, übers land
weiter, weiter
hell und klar
sanft berührt es jene saiten
die da schlummern im gestein
auf dass stumme kiesel summen
bis der bach, der fluss, der strom
voll erklingt und singt
endlos, endlos
fließt das wasser
singt von längst verklungner freude
singt von längst vergessnem schmerz
endlos, endlos
fließt das wasser
bis es plötzlich innehält
zitternd
und dich fragt:
wohin?
wohin?
wohin?

 

* bedeutet ‘Geflüster’ und ist der persische Titel des Musikstücks

#frapalymo 4-nov-16: wolle und milch

Der vierte Impuls“und in die luft des herbstes mischt sich zärtlich wolle und milch”* – hat mich entführt, ja verführt zu einer kleinen Miniatur über das Landleben.

* Wortlaut von karl aka @chrischa68

herbstmorgen auf dem lande
eine miniatur

nebel weidet leis im tal
auf dem berg ruht erstes licht
schafe – aus dem schlaf erwacht –
ziehen still wie weiße wolken
durch die bunt gefärbte welt
in den ställen atmet leben:
bald beginnt der mensch sein tagwerk
und in die luft des herbstes mischt sich zärtlich
wolle und
milch

#frapalymo 2-nov-16: unheimlich

Der zweite Impuls “unheimlich” ist der Auftakt zu einem Doppelimpuls, der mit “heimlich” fortgesetzt wird: Dieses Wort setzt natürlich vielfältige Assoziationen frei, ich bin am Wort geblieben: un-heim-lich.

unheimlich
ist mir dort, wo
in aller Unheimlichkeit
Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten,
ein Heim verweigert wird,
dort, wo sie
in aller Heimlichkeit
in die Unheimischheit verbannt oder
dorthin abgeschoben werden, was
man wohl Unheimat zu nennen hat,
dort ist mir
unheimlich

#frapalymo 1-nov-16: Erste Wörter

Noch bin ich im Zweifel: Werde ich überhaupt die Zeit finden, wird es mir mental überhaupt gelingen, jeden Tag ein Gedicht zu Frau Paulchens Impuls (http://paulchenbloggt.de/frapalymo/) zu schreiben? – Nun, ich muss ja nicht… ich schaue einfach mal, wie weit ich komme. Vielleicht beteilige ich mich auch nur sporadisch…

Der erste Impuls “die ersten wörter sind eure ersten wörter” hat bei mir gleich zweifach eingeschlagen: Entstanden sind zwei Gedichte, eines zu den ersten Worten eines Gedichts von Erich Fried, das ich sehr liebe (auch wenn ich mich hier nun in den Widerstreit begebe), und eines zu den ersten Worten aus dem ‘Parzvial’ Wolframs von Eschenbach, einem mittelalterlichen Versroman (Anfang 13. Jh.), dem ich schon lange sehr verbunden bin.

 

Nicht nichs

Nicht nichts
ohne dich
*
aber auch:
Nicht alles
mit dir

*Erich Fried: Ohne dich. In: Liebesgedichte (Quartheft 103).

 

Ist zwîvel herzen nâchgebûr

Ist zwîvel herzen nâchgebûr,
daz muoz der sêle werden sûr.
Wenn Zweifel Herzens Nachbar ist,
dann wird das sauer für die Seele*

zumindest wenn’s ein Zweifel ist,
der der Verzweiflung nahesteht,
ein Nachbar, der seinen Nachbarn
gern entzweit, indem er
bittersaure Zwietracht sät,
so dass das nunmehr zwiefalt Herz
an Welt, an Mensch, an sich
bald zweifelt, bald verzweifelt
– zweifach zwiegespalten.
Süß nur ist der Zweifel,
der einen jeden Zweifelsfall
ins rechte Zwielicht rückt:
ein Zweifel, der Herz, Welt und Ich
immer wieder konstruktiv mit Bedacht in Frage stellt:
Ist zwîvel herzen nâchgebûr,
daz muoz der sêle werden sûr.
Ist ab zwîvel herzen kampfgenôz,

daz ist der sêle süezer dôz.**

*Wolfram von Eschenbach: Parzival, Prolog, Verse 1-2 (die neuhochdeutsche Übersetzung der Sentenz stammt von mir)
**Wenn aber Zweifel des Herzens Kampfgenosse ist, dann ist das für die Seele süßer – weil: heilbringender – Klang (die mittelhochdeutsche Weiterdichtung und ihre neuhochdeutsche Übersetzung sind natürlich von mir).