Lampedusa

nach Paul Celan

Schwarzes Meer der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens wir trinken dich zwischen Nacht und Tag
wir trinken und sinken
wir sinken und trinken
wir schöpfen ein Grab aus den Wassern
Sie hören die Möven uns hören sie nicht sie rufen
sie rufen “Zurück” sie zählen
die dicken Fische
hinter den dicken Mauern aus Wasser
hinter den engen Wachen aus Stein
Nass ist
dein aschenes Haar du Mensch auf der Flucht
Tief sinkt
dein bleierner Leib der Tod ist ein Meister aus
Europa

Gepflegte Liebe

Liebe muss man pflegen.

Ob es wohl reicht,
wenn man sie
regelmäßig abstaubt
und einmal die Woche schrubbt?

Oder wenn man sie
wenn nötig wäscht
und danach wieder gut glatt bügelt?

Oder wenn man sie
zweimal die Woche gießt
und ab und zu umtopft?

Oder wenn man ihr
jeden Abend das Bett macht
und Essen auf Rädern bringt?

Oder wenn man sie
gelegentlich warten
und kleinere Reparaturen durchführen lässt?

Ich fürchte,
so käme unsere Liebe
nicht über den TÜV.

Schreiben und L(i)eben

Du schreibst
von rechts nach links.
Und ich schreibe
von links nach rechts.

Das gibt uns die Chance,
uns aufeinander zu
zu schreiben.

Es birgt für uns aber auch die Gefahr,
uns voneinander weg
zu schreiben.

Nur eins wird uns nie gelingen:
uns parallel in die gleiche Richtung
zu schreiben.

Gut, dass Schreiben und L(i)eben
zwei verschiedene Dinge sind.

Alte Liebe

Einen Floh
hat mir die Liebe,
die alte Schelmin,
vor langer Zeit
ins Ohr gesetzt.
Ich kann ihn noch immer husten hören.

Deshalb habe ich
noch immer
einen Frosch im Hals,
bevor ich Dir sage,
dass ich Dich liebe,
Schmetterlinge im Bauch,
wenn ich Dich die Treppe
herauf kommen höre,
Hummeln im Hintern,
sobald ich zu lange
auf Dich warten muss –
wie am ersten Tag.

Sei kein Frosch!
sagt die Liebe.
Das sind kleine Kröten,
schluck sie!
Die Liebe bleibt eben
hochgradig
insektuös und amphib –
auch wenn die Bienen
nicht mehr so flott sind
wie am ersten Tag.

Geborgenheit

Ein Kännchen Tee,
das auf dem Stövchen summt.

Ein Teddybär,
der beim Wenden zärtlich brummt.

Ein warmes Plaid,
in das ich flauschig eingemummt.

Mein Lieblingslied,
in dem der Alltagslärm verstummt.

Dein Arm um mich,
und mein müdes Herz
summt und brummt,
in Liebe eingemummt,
und alles Leid verstummt.

Wenn Du weg bist

Deine Pflanzen
lassen die Blätter hängen,
und Dein Papagei
– wenn Du einen hättest –
die Flügel.

Und ich –
tja, was könnte ich hängen lassen?

Nichts, aber
ich häng’ rum.

Weiß nicht mehr, wann ich das geschrieben hab, aber hab’s beim Aufräumen wiedergefunden…

Fremd sein

Durch den Fremden
das Fremde kennen lernen,
das für ihn Alltag ist.

Durch den Fremden
sich nach der Fremde sehnen,
die für ihn Heimat ist.

Durch den Fremden
das Fremdsein erfahren
plötzlich – im eigenen Land.

Durch den Fremden
lernen,
was fremd heißt
und
wie relativ das ist:
fremd sein.

Geschrieben im Oktober 1988, beim Aufräumen wiedergefunden

Du in meinem Land

In meinem Land
bist Du nur geduldet,
aber Geduld
mit Dir
hat keiner.

In meinem Land
nehmen sie wenig Anteil
an Dir und dem Krieg in Deinem Land,
von dem sie doch
ihren fetten Anteil bekommen.

In meinem Land
versuchen sie
Dein Leid noch zu vergrößern,
aber leiden
können sie Dich nicht.

In meinem Land
fordern sie Verständnis
von einem,
den sie selbst
zu verstehen nicht bereit sind.

Eines Tages, wenn Du mein Land verlässt
und mich,
werde ich mich fragen:
Hab ich denn genug verstanden?
Hab ich denn genug getan?

Und Du wirst die Antwort
in Dein Land mitnehmen.

Geschrieben im Oktober 1988, beim Aufräumen wiedergefunden

Auf fremdem Sprachkurs

Obgleich
aus derselben Sprachfamilie
sind wir doch
ein ungleiches Wortpaar.

Ich habe mich häuslich auf meiner
Sprachinsel eingerichtet.
Ich springe fröhlich von
Sprachzweig zu Sprachzweig,
pflüge mich beharrlich von
Wortfeld zu Wortfeld,
blase in jedes
Sprachrohr, das sich mir bietet,
hebe frischen Mutes
Wortschatz um Wortschatz,
schaffe mir
Sprachraum um Sprachraum,
zaubere mir
Wortreich um Wortreich
mit meinem Buchstab.

Sprachlos
schaust Du mir zu.
Bleibst einsilbig.
Wortkarg.

Für Dich segle ich
auf fremdem Sprachkurs.

Meine Wortbildung tut Dir
Sprachgewalt an.
Mein Wortwitz verletzt Deine
Sprachgefühle.
Meine Wortbrüche sind
Silbenrätsel für Dich.

Ich habe die Wortwahl.
Du willst Klartext.