mehr als mein Schmerz

wenn diese selbsternannten Therapeuten
dir wieder einmal sagen: Mensch, bedenke,
du bist mehr als dein
Schmerz

dann nickst du lächelnd, denn du weißt:
ja, ich bin auch das Wort, um meinen
Schmerz zu fassen, ich bin auch mein
Schmerzwort

doch wenn das Wort nicht so recht passen
mag, dann hast du zu all deinem Schmerz
auch noch diesen furchtbar quälenden
Wortschmerz

der dir vollends bewusst macht: ja,
ich bin mehr als mein
Schmerz

Versuch: Lyrische Landschaft

Auf der documenta 14 ist mir – neben einer Vorliebe für Topographien – der Trend aufgefallen, Bilder aus mehreren Einzelbildern wie ein Mosaik zusammenzusetzen. Das wollte ich jetzt mal ins Lyrische übersetzen: kleine Gedichte, die zusammen ein Gedicht ergeben. Und hier ist mein erster Versuch dazu.

das leben zeichnet
geheime zeichen
unter meine haut
mir neue wege in
bewegung singen
werd ich für mich
alte landschaften
in auge und ohr
schreiben worte

Sommers in Umbrien

Sommerhitze bettet sich aufs weiche Hügelland,
senkt ihren schweren Schlaf auf traubensatte Reben
im silbergrünen Schimmer der Olivenbäume.
Die gelben Feigen träumen still vom Reifen.
Sogar die Wespen hängen träge vom Gebälk,
und auf den alten Mauern ruhen die Eidechsen,
sonst flink, in ihrem mittäglichen Sonnenbad.
Müd fällt mein Blick auf die Zypresse: wie sie
– einsam – unbewegt da steht und wacht.