Das Faultier liegt
in seinem Faulpelz
auf der faulen Haut
und sagt zum
Fleißmenschen:
“Du irrst,
wenn du Muße
für Faulheit hältst
und es beflissen zulässt,
dass das Muss
dein fleißiges Leben bestimmt,
so dass dir statt Genuss
nur Gemuss bleibt.
Lass es dir gesagt sein:
Es ist etwas faul
am Fleiß,
denn wer zu fleißig ist,
verfault.
Glaub mir:
Müßiggang ist aller Musen Anfang!
Denn die Musen übersehen
geflissentlich die Fleißigen
und küssen nur die Faulen.”
Best of Lyrifant
Hier findest Du die wirklich guten Gedichte von Lyrifant, also die Texte, die Lyrifant selbst am besten gefallen. Der Rest sind Eintagsfliegen, Spielereien, Fingerübungen… und Müll ist sicher auch dabei :-)
Lampedusa
nach Paul Celan
Schwarzes Meer der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens wir trinken dich zwischen Nacht und Tag
wir trinken und sinken
wir sinken und trinken
wir schöpfen ein Grab aus den Wassern
Sie hören die Möven uns hören sie nicht sie rufen
sie rufen “Zurück” sie zählen
die dicken Fische
hinter den dicken Mauern aus Wasser
hinter den engen Wachen aus Stein
Nass ist
dein aschenes Haar du Mensch auf der Flucht
Tief sinkt
dein bleierner Leib der Tod ist ein Meister aus
Europa
Integrationsspiel
rein sind wir
und raus bist Du
ich liebe Dich
und rein bist Du
für mich
und raus bist Du
für sie
ich liebe Dich
und raus bin ich
rein sind sie
und raus sind wir
Alte Liebe
Einen Floh
hat mir die Liebe,
die alte Schelmin,
vor langer Zeit
ins Ohr gesetzt.
Ich kann ihn noch immer husten hören.
Deshalb habe ich
noch immer
einen Frosch im Hals,
bevor ich Dir sage,
dass ich Dich liebe,
Schmetterlinge im Bauch,
wenn ich Dich die Treppe
herauf kommen höre,
Hummeln im Hintern,
sobald ich zu lange
auf Dich warten muss –
wie am ersten Tag.
Sei kein Frosch!
sagt die Liebe.
Das sind kleine Kröten,
schluck sie!
Die Liebe bleibt eben
hochgradig
insektuös und amphib –
auch wenn die Bienen
nicht mehr so flott sind
wie am ersten Tag.
Auf fremdem Sprachkurs
Obgleich
aus derselben Sprachfamilie
sind wir doch
ein ungleiches Wortpaar.
Ich habe mich häuslich auf meiner
Sprachinsel eingerichtet.
Ich springe fröhlich von
Sprachzweig zu Sprachzweig,
pflüge mich beharrlich von
Wortfeld zu Wortfeld,
blase in jedes
Sprachrohr, das sich mir bietet,
hebe frischen Mutes
Wortschatz um Wortschatz,
schaffe mir
Sprachraum um Sprachraum,
zaubere mir
Wortreich um Wortreich
mit meinem Buchstab.
Sprachlos
schaust Du mir zu.
Bleibst einsilbig.
Wortkarg.
Für Dich segle ich
auf fremdem Sprachkurs.
Meine Wortbildung tut Dir
Sprachgewalt an.
Mein Wortwitz verletzt Deine
Sprachgefühle.
Meine Wortbrüche sind
Silbenrätsel für Dich.
Ich habe die Wortwahl.
Du willst Klartext.
Rechtsterror
Wo rechts vor links gilt,
weiß die rechte Hand sehr wohl,
was die linke tut.
Und man ist auch nicht
auf dem rechten Auge blind.
Vielmehr
sieht man alles
nur mit dem rechten Auge
und steht auch immer
mit dem rechten Fuß auf.
Alles was Recht ist:
Rechtsverbindlich wird,
was rechtsverbunden.
Statt rechtgläubig
ist man rechtsgläubig.
Statt Recht gesprochen
wird Recht gebrochen,
nicht von Rechts wegen,
sondern von rechts wegen.
Da bekommt das Wort
Rechtsstaat
eine ganz neue Bedeutung.
Envoi
Damit diese Form von
Rechtspflege
ein Ende nimmt:
Zeit für einen
Rechtsbruch?
Am toten Punkt
Am toten Punkt
steht noch nicht einmal
ein Fragezeichen.
In engen Klammern
ist kein Platz für einen
augenzwinkernden Strichpunkt.
Aber
auf der anderen Seite
des Gedankenstrichs
wartet unverdrossen
das lebendige Komma
und sendet
Rufzeichen.
Exil
Wo Herkunft
zu tauber Erinnerung wird.
Wo Ankunft
ein stummer Wunsch bleibt.
Wo Zukunft
ein blindes Versprechen war.
Dort ist Exil.
Tian Anmen
Sie gaben ihre Zukunft
für eine Gegenwart,
die nie Vergangenheit wurde.
zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für Liao Yiwu
Mit links
Es gibt Tage,
da findest du
das rechte Wort
mit links.
Die eigene Sprache finden
Es ist gar nicht so leicht,
die eigene Sprache zu finden,
in Schall und Rauch
von Jedermanns Senf,
zwischen Werbespott und Newsbrache,
in der Dichter heiligem Wörtersee,
zwischen Slam-Schlamm
und Slang-Klang,
im Matsch von Klatsch und Tratsch,
unter all dem alltäglichen
Wortmünzengeklingel,
zwischen Comedy-Gegacker
und abgeschlagenen Herz-Schmerz-Reimen,
dem Gequake von Zeitungsenten
und all dem intellektuellen Geifer
der Experten und Kritiker,
jenseits der Geschwätzigkeit der Prediger,
im Sumpf von Suff und Puff,
zwischen Mail-Trash
und Politphrase,
akademischen Pfauengeschrei
und intrigantem Schlangengezisch,
im Morast von abgedroschenen
Redewendungen und Sprichwörtern,
in Schutt und Asche
unserer verbrauchten Sprache.
Doch vielleicht
ist es auch gar nicht so schwer:
Warum nennst du nicht einfach
schön, was schön ist,
und gut, was gut ist?
Warum soll nicht
oben oben heißen
und unten unten?
Und warum sagst du nicht einfach
gerecht zu dem, was gerecht ist,
und ungerecht zu dem, was ungerecht ist?
Die eigene Sprache finden,
hieße dann,
den aufrechten Gang im Wort
zu üben.
Bliebe dann nur noch
das Problem,
was schön, was gut ist,
wo oben, wo unten ist,
was gerecht, was ungerecht ist.
Aber das ist
ein Problem
jenseits der Sprache.
Rückfrage
Ich entspreche nicht
Eurem Bild.
Habt Ihr Euch je gefragt,
ob Euer Bild
mir entspricht?