„Behalte den Flug im Gedächtnis. / Der Vogel ist sterblich.“
Schlussverse aus „Mein Herz ist bedrückt“ von Forugh Farrochsad
Zur Erinnerung an den Tod von Jina Mahsa Amini heute vor einem Jahr und im Gedenken an die vielen, die im Widerstand gegen das iranische Mullah-Regime ihr Leben gelassen haben
wie aber
die Erinnerung
an das Fliegen wachhalten
im immer abgeriegelten Käfig?
nur noch die toten Vögel
wissen davon zu singen
Traurig, hoffnungslos schön.
Allein: ich glaube das nicht. Im Käfig lässt allein die Erinnerung an das Fliegen überleben.
Aber wie lange?
Den Flug im Gedächtnis behalten – ja, auch wenn der Leib vergeht.
Du fragst, ob der Vogel, der im Käfig aufwuchs, sich an den Flug erinnern wird? Ja, nur wird die Erinnerung nicht von Freude, sondern von Gram und Hass durchtränkt sein.
Ich frage mich vor allem, wie lange der Vogel das aushalten kann … jetzt fast 45 Jahre …
Vielleicht bleibt das Fliegen als Utopie in den Flügeln, in der Luft unter dem Gefieder, im Wissen, dass der Wind trägt und die schrecklichen Gitterstäben den Aufstieg verhindern. Vielleicht bleibt die Hoffnung auf Flucht, dieser kurze Augenblick zu entwischen, um dann in Freiheit von Freiheit zu singen.
Danke, lieber Alexander, für Deine Trost (im mhd. Sinne: Zuspruch, Hoffnung) geben wollenden Worte. Die bedrückende Situation, an die ich denke, ist vermutlich mit dem Bild des Käfigs zu unzureichend ausgedrückt. Willkür und Gewalt, ja grausame Brutalität tun alles dafür, die nach Freiheit strebenden Menschen im Iran zu brechen – ich stelle es mir schwierig vor, unter diesen Bedingungen die Utopie lebendig zu halten – auch wenn sie gleichzeitig das ist, was sie überhaupt am Leben erhält (da gebe ich Ule Recht). So kam ich zu dem Gedanken, dass erst der Tod diese grausam gequälten Menschen wieder in wahre Freiheit setzt. Aber wieviel innere Freiheit diese Menschen haben, die sich mit diesem Mut zu ihrem Wunsch nach Freiheit zu bekennen – das fängt meine Frage vielleicht tatsächlich nur unzureichend ein. Ich werde weiter nachdenken.