Von Wechselpelzen und Besonderen Pelzwesen (2)

Kapitel 2: Das Verhalten von Wechselpelzen bei Begegnungen mit Besonderen Pelzwesen

Wechselpelze legen merkwürdige Verhaltensweisen an den Tag, wenn sie uns Besonderen Pelzwesen (sie nennen uns übrigens einfach nur „Bären“) begegnen. Diese höchst seltsamen Verhaltensweisen gilt es richtig zu deuten:

1. Die Starre: Beim Anblick eines Besonderen Pelzwesens bleiben Wechselpelze gern wie angewurzelt stehen. Sie verfallen in eine Art Schock- oder gar Totenstarre, die bei einem Teil der Exemplare durch lähmende Angst bedingt, bei dem anderen Teil auf Empfehlung von angeblich erfahrenen Pelzwesen-Forschern hin antrainiert ist. Offenbar glauben diese vermeintlich “bärenkundigen” Wechselpelze (wie sie in der Wechselpelzsprache heißen), dass sie, solange sie unbeweglich sind, von uns Besonderen Pelzwesen nicht wahrgenommen werden können. Das ist natürlich ein schwerwiegender Irrtum und zeigt einmal mehr, dass sich Wechselpelze in der Fauna nicht gut auskennen. Sie scheinen uns hier mit Schlangen zu verwechseln. Was sie außerdem nicht wissen: Die Ausdünstungen eines stehenden, noch dazu sich ängstigenden Lebewesens stechen noch viel prägnanter in die Nase als die eines sich bewegenden Wesens – abgesehen davon, dass jede Form von Totenstarre unser mitleidiges Interesse weckt.

2. Der Schrei: Obwohl von erfahrenen Pelzwesen-Forschern immer wieder als unsinniges Verhalten gebrandmarkt, reagieren einige Wechselpelze beim Anblick eines Besonderen Pelzwesens mit undefinierbaren, mal ohrenbetäubenden und durchdringenden, mal kurzen und spitzen Lautäußerungen. Die ältere Wechselpelz-Forschung deutete diese Äußerungen als Ausdruck von Angst. In der neueren Wechselpelz-Forschung geht man jedoch davon aus, dass dabei auch das Motiv der Futterplatzverteidigung eine gewichtige Rolle spielt, auch wenn zugegeben werden muss, dass dieses Ziel mit einem solchen Verhalten niemals erfolgreich erreicht werden kann.

3. Die wilde Geste: Manche Wechselpelze gestikulieren in dieser Situation auch wild um sich. Sie greifen dabei auf eine hoffnungslos veraltete Gebärdensprache zurück, die in der modernen Fauna kaum noch verstanden wird. Führenden Wechselpelz-Forschern ist es allerdings gelungen, einen Teil der wilden Gesten in ihrer Bedeutung zu entschlüsseln:

Man kann drei grundlegende Typen von wilden Gesten unterscheiden:

a) die ängstliche „Ich bin völlig unschuldig“-Geste: Dabei kauert sich der Wechselpelz auf den Boden und presst seinen Kopf zwischen seine beiden Vorderläufe.

b) die abwehrende „Ich will mit Besonderen Pelzwesen nichts zu tun haben“-Geste: Dabei biegt der Wechselpelz seinen Oberkörper nach hinten zur Seite, stützt den einen Vorderlauf mit abgespreizten Klauen in seine Hüfte und wedelt mit dem anderen Vorderlauf vor seinem Körper abwehrend hin und her.

c) die überhebliche „Hier bin ich aber der Chef“-Geste:  Dabei wölbt der Wechselpelz seine Brust nach vorne und stemmt seine beiden Vorderläufe in seine Hüfte.

Mit allen drei Gesten verspielen sich die ahnungslosen Wechselpelze unsere Sympathie: Die erste Geste ist ein Zeichen von Unwissenheit (denn man hält uns offenbar für böse und gefährliche Wesen). Die zweite Geste ist einen Zeichen von Desinteresse (denn man ist nicht bereit, sich auf uns einzulassen). Und die dritte Geste ist ein Zeichen der Arroganz, aber auch der Ignoranz gegenüber den wahren Verhältnissen in der Hierarchie der Fauna.

4. Die Flucht: Nur wenige Wechselpelze haben den Mut zur Flucht, was natürlich für sie auch gefährlich ist, da jede Form von Flucht-Verhalten bei uns Besonderen Pelzwesen den Reflex zur Verfolgung auslöst. Da Wechselpelze nicht besonders schnell sind und auch nicht gut klettern können, sind es in der Regel die dümmsten Wechselpelze, die sich für dieses Verhalten entscheiden (so dass wir Besondere Pelzwesen von einer näheren Kontaktaufnahme absehen und es bei einer angetäuschten Verfolgung belassen sollten).

5. Die bedächtige Raumbildung: Wechselpelze, die glauben, uns Besondere Pelzwesen gut zu kennen, verfassen Leitfäden über den angeblich richtigen Umgang mit uns. Sie empfehlen nachdrücklich die „bedächtige Raumbildung“, d.h. sie raten dazu, mit großer Ruhe und ohne Hast Raum zwischen sich und uns zu schaffen, was nichts anderes heißt als auf Abstand zu uns zu gehen. Unseres Erachtens handelt es sich bei diesem Verhalten um eine kontrollierte Form der Flucht.
Was dabei nicht bedacht wird, ist die Beleidigung, die ein solches Verhalten gegenüber uns Besonderen Pelzwesen evoziert. Abstand nehmen ist die schwerwiegendste Missachtung einer Besonderen Pelzwesen-Person, derer man sich nach dem Großen Pelzwesen-Ehrenkodex schuldig machen kann. Aber das können die selbsternannten „bärenkundigen“ Wechselpelze selbstverständlich nicht wissen; und den völlig unkundigen Wechselpelzen, die sich an die Ratschläge ihrer vermeintlich „bärenkundigen“ Mitlebewesen halten, kann man erst recht keinen Vorwurf machen. Deshalb sehen wir in solchen Situationen in der Regel, obgleich zutiefst in unserer Ehre gekränkt, großzügig über diese Ungezogenheit hinweg und trollen uns. Dies wird wiederum auf der Seite der vermeintlich „bärenkundigen“ Wechselpelze als Beleg dafür gewertet, dass sie mit ihren Theorien und Empfehlungen Recht haben – welch ein Irrtum! Dabei gebietet es lediglich unser Großer Pelzwesen-Ehrenkodex, auf weniger entwickelte Lebensformen Rücksicht zu nehmen.

11 thoughts on “Von Wechselpelzen und Besonderen Pelzwesen (2)

  1. Tja. Ich hatte ja immer schon den Verdacht, dass wir die weniger entwickelte Lebensform sind. 🙂 Ich habe mich übrigens wiedererkannt, und zwar an den Zitterbeinen: Ich bin die erstarrte. 🙂

      • Ich sag nur: Paddington! Pu! Auch wenn diese Besonderen Pelzwesen literarisch wohl etwas unseren Vorstellungen angepasst wurden (Vegetarier mit Vorliebe für Orangenmarmelade und Honig – echt jetzt?), sind sie doch unbestreitbar die höher entwickelten Lebewesen!

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