Von Wechselpelzen und Besonderen Pelzwesen (1)

Zu Jahresbeginn (und als Beiträge 998-1002 [!] auf meinem Blog) möchte Lyrifant Euch eine kleine Geschichte schenken – eine Geschichte in fünf Kapiteln für kleine und große Kindsköpfe, so wie Lyrifant selbst einer ist. Entstanden ist diese Geschichte bereits vor einigen Jahren. Jetzt habe ich sie nochmals überarbeitet und endlich illustriert.

Zum Geleit

Auf unseren Kanada-Reisen haben wir eine Form von Lektüre immer sehr genossen: die Ratgeber, wie man sich im Falle der Begegnung mit Bären verhalten solle und die so schöne Namen tragen wie „Living in Harmony with Bears“. Leider konnten wir die guten Ratschläge bisher nie zur Anwendung bringen, weil sich die Bären vor uns immer erfolgreich versteckt hielten. Dafür haben wir aber bei einem unserer Höhlenbesuche auf Vancouver Island eine Entdeckung gemacht, die von unschätzbarem Wert ist für Menschen, die an einem friedlichen Zusammenleben von Bär und Mensch wirklich interessiert sind. Diese schwer zugängliche Höhle – leider haben wir sie danach nie mehr wieder gefunden – enthält frühbärenzeitliche Höhlenmalereien, die wir bei unserem ersten und einzigen Besuch zum Glück fotografisch festgehalten haben. Bärenkunstgeschichtlich sind die Zeichnungen nicht gerade Meisterwerke, offenbar dienten die raschen Skizzen nur als Gedächtnisstütze für das Geschriebene. Denn neben diesen Bildern findet sich – und das ist die eigentliche Sensation – ein recht umfangreicher Beitext auf Altbärisch, der in schwer entzifferbaren Bärenrunen in die Höhlenwände eingeritzt ist. Dank der großzügigen Unterstützung eines versierten Bärenkundlers aus Vancouver, der hier – bescheiden, wie er ist – leider nicht genannt werden will, ist es uns gelungen, den Inhalt dieser Runen zu entziffern und in menschliche Sprache zu übersetzen.

Ein Leben in Frieden mit Wechselpelzen*

* Anmerkung des Übersetzers: Bären nennen uns Menschen Wechselpelze, sich selbst jedoch – je nach Art – Braun-, Schwarz- bzw. Weißpelze. Als Oberbegriff bevorzugen die Bären allerdings die Bezeichnung Besondere Pelzwesen, da sie der unumstürzlichen Überzeugung sind, die Krone aller bepelzten Lebewesen zu sein (und zu diesen ‚bepelzten‘ Lebewesen zählen sie offenbar auch uns Menschen).

Kapitel 1: Kleine Wechselpelz-Kunde

Voraussetzung für ein harmonisches Auskommen mit den Wechselpelzen ist Wissen: Wissen über ihr Vorkommen, ihr Verhalten und ihr Selbstverständnis. Deshalb steht am Beginn dieser Schrift eine kleine Wechselpelz-Kunde. Wechselpelze, die sich selbst übrigens „Menschen“ nennen, womit sie sich gegenüber den „Tieren“, wie sie alle anderen Lebewesen abwertend bezeichnen, abgrenzen wollen, begegnen uns Besonderen Pelzwesen vornehmlich in drei verschiedenen Arten:

1. Der Höhlen-Wechselpelz: Der Höhlen-Wechselpelz siedelt in Städten und kleineren Ortschaften in sogenannten Block-Höhlen oder auch mehrstöckigen Haus-Höhlen, die er sich – bisweilen mit großem Aufwand – selbst gebaut hat. Sein bevorzugtes Fortbewegungsmittel bilden vierrädrige Blechkonserven; aber auch zweirädrige Gestelle werden von ihm zu diesem Zweck benutzt. Dass er mit seinem Lebensstil Wald, Feld und Flur schadet, kümmert ihn wenig. Der Höhlen-Wechselpelz legt gewaltige Vorratsdepots an, wobei seine immense Sammelleidenschaft nicht nur dem Ess- und Trinkbaren gilt, sondern auch unnötigerweise nicht-essbare Dinge umfasst. Merkwürdig ist auch, dass der Höhlen-Wechselpelz für einen Teil seiner essbaren Vorräte offenbar schon bald selbst keine Verwendung mehr hat und diese – statt sie in offenen Eimern der übrigen Pelzwelt frei zur Verfügung zu stellen – in Panzerschränken wegschließt und ganz stolz darauf ist, uns damit von der Teilhabe an diesen Ressourcen ausgeschlossen zu haben. Eine besondere Vorliebe, insbesondere zur Sommerzeit, haben die Höhlen-Wechselpelze für das Feuermachen vor der eigenen Höhle. Dabei werden gewürzte Fleischstücke über das Feuer gehalten und in unkenntliche, aber auch für uns Besondere Pelzwesen schmackhafte Brocken verwandelt (sie selbst nennen diesen Vorgang „Grillen“).

2. Der Wander-Wechselpelz: Der Wander-Wechselpelz ist eine nur zeitweise existierende Variante des Höhlen-Wechselpelzes. Er begegnet uns vorrangig in unserem eigenen Revier, dem Wald. Ein Meisterwerk der Statik ist es, dass es dem Wechselpelz gelingt, sich dabei lediglich auf seinen beiden Hinterläufen fortzubewegen, allerdings den einen Vorderlauf in der Regel auf einen Stock oder Ast gestützt. Mit sich trägt der Wander-Wechselpelz meist noch einen Rückenbeutel, der nicht angewachsen ist und in unterschiedlichen Größen vorkommen kann. Der Rückenbeutel enthält in der Regel Ess- und Trinkbares, aber auch bunte Pelzteile zum Wechseln, wobei das Material dieser Pelzteile unsere Kriterien für einen guten Pelz nicht immer zu erfüllen vermag. [Anm. der Herausgeber: An den noch erhaltenen Farbpigmenten kann man deutlich erkennen, dass die Höhlenmalereien ursprünglich sehr sorgfältig und liebevoll koloriert waren].

3. Der Waffen-Wechselpelz: Am gefährlichsten für uns Besondere Pelzwesen ist der Waffen-Wechselpelz, eine äußerst unangenehme, weil scharf-schießende Unterart des Wechselpelzes. Erkennbar ist der Waffen-Wechselpelz, wie sein Name schon sagt, an seiner Waffe, die meist die Form eines Gewehrs hat. Dabei gilt es zwei Gruppen zu unterscheiden: Harmloser sind die sogenannten „Wildhüter“-Wechselpelze (ja, so nennen sie sich, als ob Wild gehütet werden müsste). Harmloser sind sie, weil sie nicht immer scharfe Geschütze verwenden, aber sie können uns Besondere Pelzwesen immerhin in den Tiefschlaf schießen. Gefährlicher sind die sogenannten „Jäger“-Wechselpelze, die uns Besondere Pelzwesen ernsthaft an den Kragen wollen. Die Grenzen zwischen beiden Arten ist bisweilen fließend, wie jüngst wieder das traurige Schicksal des italienischen Kollegen im bayerisch-österreichichen Grenzgebiet bewiesen hat.

9 thoughts on “Von Wechselpelzen und Besonderen Pelzwesen (1)

  1. die frühbärenzeitlichen Höhlenmalereien sind erstaunlich. Hat man nachgeforscht, mit welchen Werkzeugen sie hergestellt wurden? Und die Farben. woraus wurden sie gewonnen? Danke im Voraus für weitere Informationen.

    • Ja, technisch sind sie vergleichbaren menschlichen Höhlenmalereien bei weitem überlegen, wenn auch nicht zeichnerisch. Offenbar wird die aus Pflanzen gewonnene Farbe direkt mit der Pfote aufgetragen, womit an den farbigen Stellen ein gewisser Wisch-Effekt entsteht. Die Linien wurden zunächst mit den Krallen in den Stein geritzt und dann mit Kreide nachgeführt. Ganz bemerkenswert. Ich will aber auch nicht verschweigen, dass es auch die These gibt, die Bilder seien zu einem späteren Zeitpunkt dazugekommen (möglicherweise sogar von menschlicher Hand). Allerdings bestätigen chemische Analysen das hohe Alter des Farbstoffes, so dass als Urheber am ehesten ein/e Malbärschüler/in zu gelten hat.

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