Veränderung

Nichts wird mehr so,
wie es war.

Du kannst weinen und klagen.
Du kannst schreien und um dich schlagen.
Du kannst mit dem Fuß aufstampfen und Nein sagen.
Du kannst träumen und dir die Zeit zurückwünschen.
Du kannst auch stehen bleiben und den Kopf in den Sand stecken.

Aber das wird nichts daran ändern:
Nichts wird mehr so,
wie es war.

Du solltest es einfach akzeptieren.
Einfach?
Nein, einfach ist es nicht,
aber es dürfte einfach das Vernünftigste sein.

Lob auf den Freitod

Sich das Leben nehmen,
um es sich zurück zu geben,
um es ganz fest zu halten,
es mit Händen und Füßen zu ergreifen,
damit es wieder Hand und Fuß bekommt.

Sich umbringen,
sich um das Leben bringen,
sich um das Leben herum bringen
zum Wesentlichen,
sich mit Aug und Ohr um das Leben bringen,
um es neu zu sehen und zu hören.

Hand an sich legen,
um sich selbst in die Hand zu nehmen,
endlich an die Hand zu nehmen,
sich in die eigenen Hände zu legen.

Sich selbst töten,
damit das Selbst leben kann.

Erlkönig

Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? –
Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?

                                                                                                          J. W. Goethe

„Mein Kind, was wendest du ab von uns dein Gesicht?“ –
„Siehst, Vater, du meine offenen Arme nicht?“

„Mein Kind, was versäumst du deine von uns geforderte Pflicht?“ –
„Siehst, Vater, du meine euch zugeneigten Ohren nicht?“

„Mein Kind, was glaubst du, wie man mit seinen Eltern spricht?“ –
„Siehst, Vater, du meinen zärtlich lächelnden Mund nicht?“

„Mein Kind, was sitzt du so frech über uns zu Gericht?“ –
„Siehst, Vater, du den Ring, der mein Herz umschließt, nicht?“

„Mein Kind, was reckst du so keck deinen Hals ins Licht?“ –
Siehst, Vater, du mein gebrochenes Rückgrat nicht?

„Mein Kind, was suchst du den Mann, der das Herz dir nur bricht?“ –
„Siehst, Vater, du meine vor Liebesglück strahlenden Augen nicht?“

Dem Kinde graust’s, es reitet geschwind,
durch seine Seele bläst eisiger Wind.
Es findet das Tor mit Mühe und Not,
in seinem Herzen das Kind war tot.

Der Erlkönig sieht’s,  dreht um und spricht:
„Meiner bedarf es hier nicht.“

Immer falsch

zu früh
zu spät

zu jung
zu alt

zu gut
zu schlecht

zu groß
zu klein

zu viel
zu wenig

zu schwer
zu leicht

zu stark
zu schwach

zu hoch
zu tief

zu lang
zu kurz

einfach immer falsch!

Spätes Wiegenlied

Du bringst uns noch ins Grab,
sagt der Vater.

Vatermörderin,
flüstert die Nachbarin.

Du bringst uns noch ins Grab,
sagt die Mutter.

Muttermörderin,
flüstert der Nachbar.

Vater, hast längst ins Grab mich bracht –
Mutter, hast dem Vater gholfen,
singt das Kind.

Mutter, hast längst ins Grab mich bracht –
Vater, hast der Mutter gholfen,
singt das Kind

das dem Kindbett nie entwuchs und
blieb im Sarg aus Gitterstäben.

Stubenvogel

Hinausgewagt
mit Trippelschritten,
kurzer Probeflug
auf den ersten Baum
vor dem Fenster.
Herzklopfender Innehalt
und Blick zurück
in die warme Stube:
Zu aber ist schon die Käfigtür –
Rückkehr unerwünscht!
Weiter also
– zögere nicht!
Folge den Raben
und erprobe
wie weit die Schwingen tragen,
die gestutzten.
Notfalls allein
von Ast zu Ast.
Blick ins Offene,
himmelwärts.

Amokfarben

Man schlägt ihn seelisch grün und blau.
Mit verquollenem Seelenauge sieht er die Welt nur grau
und malt alles schwarz,
was nur weiß übertüncht war.
Dann sieht er nur noch rot.

Nach dem Schuss
ist die Welt wieder bunt.

Lebensfarben

Die Farben der Kindheit

Der Himmel ist himmelblau,
grasgrün ist das Gras.
Die Erde ist erdbraun,
sonnengelb ist die Sonne.
Der Schnee ist schneeweiß,
rosenrot ist die Rose.
Der Wolf ist wolfsgrau,
rabenschwarz ist der Rabe.

Die Farben der Jugend

Rosarot leuchtet der Himmel,’
dunkelrot  duftet das Gras.
Samtrot schimmert die Erde,
glutrot neigt sich die Sonne.
Blutrot glänzt der Schnee,
mundrot blüht die Rose.
Der Wolf ist ein Fuchs,
der Rabe fortgeflogen.

Die Farben der Reife

Der Himmel ist azurblau
wie frisch erblühter Rittersporn zwischen den goldenen Ähren des Feldes,
zartgrün wie die eben den Knospen entsprungenen Blätter der Linde
ist das Gras.
Die Erde ist rotbraun,
wie Holz vom frisch gefällten Baum kurz nach dem Anschnitt,
goldgelb wie frisch geerntete Mirabellen vom Baum in Nachbars Garten
ist die Sonne.
Der Schnee ist eierschalenweiß
wie ein unbeschriebenes Blatt Papier vor dem ersten Wort,
dunkelrot wie eine pralle Kirsche nach einem sonnigen Sommer
ist die Rose.
Der Wolf ist dunkelgrau
wie indische Elefanten am Morgen nach ihrem ersten Bad,
kohlschwarz wie  schwitzender Teer in der Sommerhitze
ist der Rabe.

Die Farben des Alters

Der Himmel grau,
das Gras braun.
Die Erde schwarz,
die Sonne fahl.
Der Schnee gelb,
die Rose weiß.
Der Wolf ist tot,
vom Raben beweint.

Die Farben des Todes

Pechschwarz ist der Himmel,
schwarz wie Lakritze das Gras.
Lavaschwarz ist die Erde,
schwarz wie die Nacht die Sonne.
Ebenholzschwarz ist der Schnee,
schwarz wie Holunder die Rose.
Kohlrabenschwarz ist der Wolf,
schwarz wie ein Panther der Rabe.

Lethargie

Dem Fuß
fehlt die Kraft
zum Aufstehen.

Dem Leib
fehlt die Stärke
zum Durchstehen.

Dem Kopf
fehlt der Antrieb
zum Bestehen.

Denn Sinnen
fehlt das Ziel
zum Einstehen.

Dem Herz
fehlt der Mut
zum Widerstehen.

Der Seele
fehlt die Energie
zum Überstehen.

Der Hand
fehlt die Macht
zum Beistehen.

Dem Geist
fehlt die Fähigkeit
zum Verstehen.

Du kannst nicht mehr vor Dir bestehen.
Deine Ohnmacht steht Deiner Kraftlosigkeit in nichts nach.
Dabei steht Dir Stehvermögen und Standfestigkeit zu.

Aber alles steht still.