klar, niemand will sterben.
und, ja, niemand soll sterben.
aber natürlich können wir sterben.
und am Ende müssen wir alle sterben.
warum aber sollten wir nicht auch sterben
dürfen?
Autor: Lyrifant
Kurzglückfragmente (23)
zwischen zwei Staus auf der Autobahn:
den lichtblauen Schimmer
der Hagemeisterschen Havellandseen
als Erinnerung noch auf der Haut
und plötzlich
den schwarzgrünen Duft der Kiefern
aus den vorbei ziehenden Leistikowschen Wäldern
frisch in der Nase
dieses Gefühl der Geborgenheit
es ist das Privileg der Liebenden,
die zufällig hier geboren sind:
ich genieße es Tag für Tag,
mich geborgen zu fühlen
in Deiner Nähe
es ist der Fluch der Liebenden,
die hier im Exil leben müssen:
ich werde Dir nie – das weiß ich –
so nah sein können, dass Du
Dich geborgen fühlen wirst
in meiner Nähe
wie verwegen doch dieses Gefühl
der Geborgenheit ist, das mir die Nähe
des Ungeborgenen zu schenken vermag –
und wie vermessen letztlich mein Wunsch:
zu hoffen, ich könnte Dir etwas davon zurückgeben
die stillen Abende
die stillen Abende
sind’s, die ich so mag
und wo ich find
die Ruhe nach dem Tag
die stillen Abende
sind’s, die ich so brauch
und wo ich spür
die Harmonie von Kopf und Bauch
die stillen Abende
sind’s, die ich so lieb
und wo ich weiß
mich frei von Nimm und Gib
die stillen Abende
sind’s, die ich so mag
und wo ich bin
ganz eins mit Nacht und Tag
Sackgasse
rechts abbiegen, um
Krisen und Probleme
links liegen zu lassen –
ein Weg, der geradewegs
in eine Sackgasse führt:
wo niemand mehr weiß, wo
rechts und links ist
nein, die Liebe wird nicht alt
nein, die Liebe wird nicht alt –
nur die Gefühle werden kalt und krank
und sterben gar, vielleicht, und auch
das Herz wird langsam schwach
und schlägt nicht mehr so froh wie einst
nein, die Liebe wird nicht alt –
nur den Sinnen schwindet ihre Kraft
und die Nerven büßen ihre Stärke ein, es kann
auch sein, dass der Verstand sich neu sortiert
und die Vernunft beginnt zu schielen
nein, die Liebe wird nicht alt –
nur scheint, was einst so tief vertraut,
nun plötzlich überraschend fremd,
und was für immer fremd sein sollte,
wird vertrautes Ritual, wird zur täglichen Routine
nein, die Liebe wird nicht alt –
nur wir Liebenden, wir ganz gewiss
für Dich, mein Liebster, für 35 gemeinsame Jahre
eine Frage an Einstein
wie lang ist das Leben,
wenn wir es beginnen!
wie kurz ist das Leben,
wenn wir an seinem Ende stehn!
wie aber ist das Leben bemessen,
während wir gerade dabei sind zu leben?
mit würde
würde ich mich
meiner würde
würdig zeigen,
würde ich noch heute
die würde des menschen
– weder würdevoll noch würdelos –
in den würdegriff nehmen:
werde was würde
rapsodie in gelb
gelb das feld
so weit das auge
reicht von blau
zu grün lacht
gelb um gelb
der raps
gelb der raps
so gelb das gelbe
lacht von weit
zu auge reicht
grün um blau
das feld
feld das gelb
so aug das weite
blaut von reich
zu lach grünt
raps um raps
das gelb
raps das gelb
so raps der raps
reicht von grün
zu blau lacht
feld um feld
das aug
zum tod von SAID
Dies sein letztes Gedicht, veröffentlicht heute posthum auf FAZ.net:
in manchen nächten
suchen platanen nach einem gott
der schweigen kann
die dunkelheit zieht sich zurück
der mond ruft die zikaden
die unbelehrbaren beten
auf eine geste des triumphs verzichten sieSAID (27. Mai 1947 in Teheran – 15. Mai 2021 in München)
und in den kommenden tagen
suchen die liebenden nach dem dichter
der singen kann
sei nacht zu mir
ich ruf zurück die vögel
die ferne mutterlandschaft schweigt
auf eine geste der trauer verzichte ich
wahr ist geworden sein wort:
wo ich sterbe
ist meine fremde
Faltungen, lyrisch
inspiriert von Jürgen Küsters Faltungen-Projekt auf Buchalovs Blog
ich schreib mir eine Fal
te ins Gedicht
und falz mir keine einfäl
lt, schreib ich mir glatt die Sorgfalt
aus dem Gesicht und falte sie auf
eine Spalte Papier
#ich zeige Faltung!
und schreib mir eine Fal
te ins Gedicht
zwiefältig, vielfaltig
fall mein Vers auf
kalten Asphalt
abwegig
gern bin ich
unterwegs
im Unwegsamen
und Ausweglosen
nur auf Umwegen
geradewegs
geh ich meiner Wege
vollkommen abwegig