Die Welt war gelb, rot und blau

Die Welt war gelb, rot, blau: oja!
da ich einst saß an grüner See.
Ich Törin wünschte Schnee: was? wie?
und wurde meines Lebens nicht mehr froh –
gerade so, als wär ich Mensch auf Tuvalu.

Zur Genese dieser merkwürdigen Verslein muss ich ein bisschen was erklären: Myriades literarische Weltreise führte uns heute nach Tuvalu. Dieses Wort verknüpfte sich in meinem Kopf mit „Toberlû“ aus Walthers von der Vogelweide reizendem Vokalspiel* „Diu welt was gelf, rôt unde blâ“, mit dem ich gerade beschäftigt bin. Und so begannen in meinem Kopf Wörter und Vokale Walzer zu tanzen und sich zu einer anderen Art von Vokalspiel wie Schneeflocken niederzusetzen.

*Bei diesem Link müsst ihr ein bisschen nach unten scrollen, um den mittelhochdeutschen Text nebst Übersetzung zu finden.

Trilogie: Minnesangs Ich-Reflexionen – getroumet?

Ein inverses Tanka von Walther von der Vogelweide

Owê, war sint verswunden
alliu mîniu jâr?
ist mîn leben getroumet

oder ist ez wâr?
iemer mê ouwê!

Walther von der Vogelweide wäre nicht Walther von der Vogelweide, würde er sich an Regeln halten. Und so ist sein Tanka nicht nach dem traditionellen Muster 5-7-5 7-7 gebaut, sondern invers: 7-5-7 5-5. Die Verse sind dem Eingang seiner sog. ‘Elegie’ (L. 124,1) entnommen, kombiniert mit dem Refrain,  wobei ich nur ein wenig eingreifen musste, um die erforderliche Silbenzahl zu erhalten. Hier meine Übersetzung, die die Form zu bewahren sucht:

Ach, wohin sind verschwunden
all meine Jahre?
Ist mir mein Leben geträumt

oder ist es wahr?
Ach, für immer ach!

Diese Tanka-Variation eröffnet eine kleine Dreierreihe, für die ich Verse gewählt habe, die mich immer schon angesprungen, umgehauen und eingenommen haben.

Trilogie: Minnesangs Vögel – Nachtigall

nahtegal
schône sanc
under der linden
dâ unser zweier bette –
tandaradei

Die Idee, eigene kleine Texte mit dem Sprachmaterial mittelhochdeutscher Minnelieder zu machen, kam über einen Impuls von ‘Frau Paulchens Lyrischem Monat’. Nach “Minnesangs Farben” (die unmittelbar aus dem Impuls entwickelt wurden) habe ich mir nun die minnesängerische Vogelwelt vorgenommen. Als erstes habe ich das berühmte ‚Lindenlied‘ Walthers von der Vogelweide (L. 39,11) auf ein Elfchen reduziert…
Worthilfen: schône = auf schöne Weise; dâ = wo / dort; tandaradei = Interjektion, den Ruf der Nachtigall nachahmend