Vrouwenlob

ein bescheidenes geblümtes Lob für einen Meister-Blümer zum 701. Todestag

Vergessdeinicht:
Rosen-röselechter Wort-
Orchideenzüchter, du!
Ulme, hochgewachsen, unter
Walnussbäumen, jung zwischen alten
Eichen.
Nelken, nelkenrot, und
Lilien, lilienweiß – dazu eine kleine
Olive – leg ich dir aufs Grab, ich kleines
Buschwindröschen

Vor einem Jahr hat mich Meister Frauenlob alias Heinrich von Meißen sehr in Atem gehalten. Damals war mein Lob adäquater als heute – sorry, Meister, aber ich bin einfach nur müde (aber nicht frauenlob-müde, keinesfalls!).

in Vrouwenlobes wise

Heute, am 29. November 2018, sei – zum 700. Todestag des mittelalterlichen Lyrikers Heinrich von Meißen alias Frauenlob – ein Lobpreis auf diesen wahrhaft großen Sprachkünstler und Meister des Geblümten Stils gedichtet, und das alles natürlich in seinen eigenen Worten 🙂 (Heinrich, bitte verzeih mir, aber wer, wenn nicht Du könnte verstehen, dass mich das jetzt gereizt hat… und hier ist nun ganz speziell für Dich mein Frauenlob-Leich*).
(Und auch meine treuen Leserinnen und Leser bitte ich um Verzeihung, dass Ihr hier jetzt durch einen mittelhochdeutschen Text durchmüsst, noch dazu so harte Kost – aber Ihr könnt die Lektüre hier jetzt auch abbrechen 🙂 – , seht es mir bitte nach, aber es ist jetzt hier und heute einfach ein Herzensanliegen für mich).

* Der Leich ist eine lyrische Großform aus verschieden gebauten Strophen, die Prunkform innerhalb der lyrischen Gattungen des Mittelalters. Frauenlob hat diese Form wahrlich meisterhaft gepflegt. Das Material für meinen Frauenlob-Leich stammt – mit geringen, stets gekennzeichneten Änderungen – aus seinen Sangsprüchen und seinen Minneliedern wie auch aus seinem Minne- und seinem Marienleich. Woher ich was habe, habe ich in der Übersetzung jeweils angegeben, die Ziffern beziehen sich dabei auf die Göttinger Ausgabe von Karl Stackmann (das ist jetzt echt nur für Insider 🙂 ).

Grif, herze, zu und hilf den sinnen ein lob smiden
daz allen liden
siner kunst si wol gelenke.
dem ich diz lob schenke,
der neme ez    vür ein gut getrenke,
sit im ein luter miol win   vür werdez lob nicht smecket.

[V,10 1-6:] Greif, (mein) Herz, zu und hilf meinen Verstandeskräften ein Lob zu schmieden, das allen Gliedern seiner Kunst gelenkig sei. Dem ich dieses Lob (ein)schenke, der nehme es […] für einen guten Trank, weil ihm ein Pokal mit klarem Wein anstelle eines wertvollen Lobes nicht schmeckt.

Ich forme, ich model, ich mizze,
wie gerne ich mich flizze
eins lobs    daz sich ie dem dinge
gelichen muz an lut, an art oder an dem urspringe.
Ich such in mines sanges krame und var uf einen vindelse.

[V,13 9-11] Ich forme, ich modelliere, ich messe: wie gerne würde ich mich für ein Lob ereifern, [V,38 4-6] das sich stets der Sache anzugleichen hat, was Klang, Wesen oder Ursprung angeht. [V,12* 1;] Ich suche im Kramladen meines Gesanges [V,38 13:] und fahr hinaus auf einen Findelsee.

Ei, ich sach in dem trone
einen man, des herzen sin was swanger:
er trug der tichter krone
vor miner ougen anger.

[I,1 1-4:] Ei, ich erschaute auf dem (Künste-)Thron einen Mann, seines Herzens Kunstsinn war schwanger. Vor dem Anger meiner Augen trug er die Krone der Dichter.

Im ist ein wip
so nahen durch die ougen sin
gebrochen in daz herze.
Des muz sin lip
von schulden ir gefangen sin.
Daz geschach im durch ein schouwen
in der alten meister ouwen.

[XIV,12 (Lied 6, Str. 1) 1-3:] Ihm ist eine Frau ganz nah durch seine Augen in das Herz (ein)gebrochen. [XIV,12 (Lied 6, Str. 1) 6-7:] Davon muss er mit Recht ihr Gefangener sein. [XIV,13 (Lied 3, Str. 3) 7:] Dies wiederfuhr ihm aufgrund eines Schauens in den Auen der alten Meister.

Mit der er was gebürdet,
die sach er vor im sitzen    mit witzen:
O wip, uz drier hande selekeit
bistu geformet und gemischet:
Daz erste ist gefiolierte blüte kunst,
durchliljet kurc,
daz ander der naturen cleit,
daz dritte ist die süze meit,
der hochsten vrouwen minne.
In dem boume künste riches lobes
hielt wipfels gunst
sin list, gab gimmen sinnes schurc.

[I,2 5-6:] Sie, mit der er schwanger war, die sah er vor sich sitzen in seiner Weisheit: [III,1 1-4:] Oh, Frau, […] aus dreierlei Vollkommenheit bist du geformt und gemischt: Das erste ist, [VIII,26 1:] die veilchenverzierte Kunst, die Blüte, [VIII,26 7:] auserlesen mit Lilien geschmückt. [III,1 5-6:] Das zweite (ist) das Kleid der Natur. Das dritte ist die süße Jungfrau (Maria), die Liebe der höchsten Dame. [VIII,26 5-7:] Im Baum kunstreichen Lobes hielt die Gunst des Wipfels seine Kunst,  [VIII,26 5-7:] gab Edelsteine der Schlag gegen seinen Kunstverstand.

Ja, tet er als ein wercman, der sin winkelmaz
ane unterlaz
ze sinen werken richtet,
uz der fuge tichtet
die höhe und lenge: wit und breit.
Er tet rechte
als er solde,
ja, der holde,
truc er doch der sinne ein joch,
dar zu  ist er    der künste ein koch.

[V,13 1-5:] Fürwahr, er tat wie ein Baumeister, der sein Winkelmaß ohne Unterlass an seine Werke anlegt, der aus der Zusammenfügung hervorbringt die Höhe und Länge, weit und breit. [I,I,2 11-15:] Er tat richtig, wie er sollte, fürwahr, der Begnadete, trug er doch [V,115 17-18:] ein Joch an Kunstverstand, dazu ist er ein Koch der Künste.

Wort sint der dinge zeichen, sam der meister gicht.
haete er gesungen und geticht
niuwan daz eine wort: “Ich suchte mich,
da vant ich min daheime nicht.”
so wurt    ich sins sinnes lie florieren
mit roselehten worten, schon probieren
mit redeblumen, sunder frist.
sin wort, sin döne traten nie   uz rechter sinne sazen,
nie hat er gesungen von dem feim,   ouch nie den grunt verlazen.

[V,38 1:] Worte sind der Dinge Zeichen, wie der Meister sagt. Hätte er gesungen und gedichtet nichts außer diesem einen Wort [XIV,28 (Lied 6, Str. 3) 1-2:] “Ich suchte mich, das fand ich nichts von mir daheim.”, [XI,1 1-3:] so würde ich die Laube seines Kunstverstandes mit rosenfarbenen Worten florieren, auf schöne Weise mit Redeblumen ausrüsten, ohne Aufschub. [V,115 19:] Seine Worte, seine Töne traten nie aus dem Wohnsitz des rechten Kunstverstandes, [V,115 6:] nie hat er vom Schaum gesungen, auch nie den Grund (der Dichtung) verlassen.

Die hohe gotes stiure
webe ez in miner witze hamen,
daz ich in nennen muz mit namen
(wan ieslich ding sin nam tut melt):
Uz kezzels grunde gat sin kunst, so gicht min munt.
ich tun iu kunt
mit worten und mit dönen,
ane sunderhönen:
noch solte man sins sanges schrin   gar rilichen krönen.
Ich meine Heinrich, den süzen meister
Vrouwenlob.

[V,8 12-14:] Die hohe Hilfe Gottes möge es in das Fangnetz meines Verstandes weben, auf dass ich ihn nennen muss beim Namen – [V,38 6:] denn ein jegliches Ding wird von seinem Namen gemeldet – :  [V,115 7-10:] Aus Kessels Grunde kommt seine Kunst, so spricht mein Mund. Ich tue euch kund mit Worten und mit Töne (ohne jemanden verhöhnen zu wollen): Noch immer sollte man seines Sanges Schrein gar prächtig krönen. [VIII,26 20-21:] Ich meine Heinrich, den süßen [V,115 16:] Meister [V,115 5:] Frauenlob.

Trilogie: Minnesangs Ich-Reflexionen – da heime nicht

Ein Haiku von Meister Frauenlob

Ich suchte mich, da
vant ich min da heime nicht.
lip, wa was ich do?

Verse aus der dritten Strophe aus Lied 6 von Heinrich von Meißen, genannt Frauenlob (GA XIV,28), neu verfugt zu einem Haiku – ist das nicht ein verblüffend moderner Gedanke am Ende des 13. Jahrhunderts?

Worthilfen: vant = fand; min – wörtlich: meiner, d.h. etwas von mir; da heime = daheim; lip = Leib, Leben; wa = wo; was = war; do = da, damals

Hier meine Übersetzung, die Form wahrend:

Ich suchte mich, da
fand ich nichts von mir zuhaus.
Leib, wo war ich da?

Trilogie: Minnesangs Vögel – Schwan

ich tuon sam der swan,
der singet swenn’ er stirbet:
ein swinendes fro

Und weiter geht es mit “Minnesangs Vögeln”: Dieses Haiku verarbeitet das Bild vom Schwan, der immer dann singt, wenn er stirbt. Dieses Bild findet sich sowohl bei Heinrich von Morungen (MF 139,15-18; Venuslied) als auch bei Frauenlob (GA Lied 4, Strophe XIV,9). Der letzte Vers stammt von Frauenlob und bedeutet ‘ein dahinschwindendes Froh’.

Trilogie: Minnesangs Farben – Blau

secht, wie ez tunkel blawet!
Ein Blaues Tanka von Frauenlob

ich clage min not:
baz dem munde zeme ein
liljenwizes ja

dann ein nein von jamer bla –
secht, wie ez tunkel blawet!

 

Für dieses Blaue Tanka habe ich Verse aus drei Gedichten von Frauenlob (Heinrich von Meißen) zusammengeschmiedet: Der Eingangsvers stammt aus Lied 6, Strophe 2, Vers 1; der Mittelteil aus Lied 2, Strophe 2, Verse 5f.; der Schlussvers stammt aus dem Spruch VII,29, Vers 1 (zitiert nach der Göttinger Ausgabe von Karl Stackmann und Karl Bertau).
Inspiriert wurde diese Trilogie und speziell dieses Gedicht durch Sophie Paulchens #frapalymo im November 2016 (Impuls No. 21).

Worthilfen: tunkel = dunkel; baz = besser; zeme = wäre angemessen; dann = als