Wir hatten auch über Peinlichkeit diskutiert, woraus die Aufgabe entstand, ein “peinliches Gedicht” zu schreiben (oder ein Gedicht über Peinlichkeit oder über peinliche Gedichte). Mir war relativ schnell klar, dass das mit dem Schreiben eines peinlichen Gedichts nichts wird, da zur Peinlichkeit gerade die Unfreiwilligkeit dazugehört. Und so habe ich mich an einem Gedicht über das peinliche Gedicht versucht. Die erste Fingerübung:
Was ist
ein peinliches Gedicht?Du sprichst
von deiner Pein
allein –
allein
die Pein
– ist sie auch dein –
ist kein Gedicht.Nicht?
Schade!Aber das war nur ein Spaß am Rande. Dann habe ich noch mal richtig nachgedacht, was für mich die Peinlichkeit von peinlichen Gedichten ausmacht – und daraus ist dann (heute gegen Morgen) dieser Text entstanden:
Seelenstriptease ohne Filter,
dichterische Nabelschau.
Rechtschreibfehler, schiefe Bilder,
Rhythmus lau und Reime mau.
Larmoyanz und Arroganz,
Penetranz und Ignoranz.
Nimmt kein Ende, bleibt banal,
infantil und a-sozial.
Nimmt sich wichtig, ist ein Wicht –
schau: Das ist ein peinliches Gedicht.
Da hast du aber nichts ausgelassen, was das Lesen eines Gedichts zu Qual machen kann! Und in so schön fließendem Rhythmus.
Das erste kleine über die Pein finde ich richtig gut, ein hübscher Rausschmeißer für eine Lesung.
Ich glaube, man kann das nicht wirklich vergleichen – jemanden, der literarische Gedichte schreibt, darin besser werden möchte und irgendwann veröffentlichen möchte und jemand, der sich hauptsächlich die Not von der Seele schreibt. Auch da kann es darum gehen, sich möglichst gut auszudrücken, aber in erster Linie steht Befreiung von Kummer und Seelennot an. Mir ist es lieber, jemand schreibt darüber auch holprige Gedichte, als allein in seinem Zimmer zu sein und sprachlos am Kummer und Schmerz zu ersticken. Ich finde das zum Beispiel nicht peinlich, es mag sein, dass es mir nicht gut gefällt, aber peinlich finde ich das nie, sondern eher not-wendig und ein möglicher Weg zur Bewältigung.
Ich habe gar nichts gegen Schreiben als Therapie, und das darf dann auch holprig, schief, kurz: literarisch unzulänglich sein (bzw. das ist dann gar keine Kategorie mehr dafür), und das ist dann in der Tat nicht peinlich (weil immer authentisch, wie eine Kursteilnehmerin auch gestern meinte). Peinlich wird es erst dann, wenn der- oder diejenige mit literarischem Anspruch auftritt… also wenn all die in meinem Textchen genannten Punkte zusammenkommen.