Graureiher
ein Wort wie ein Flug:
wo der Graureiher schwebt hoch
über stillem See
ein Wort wie ein Flug:
wo der Graureiher schwebt hoch
über stillem See
rar macht sich das Wort
des Fuchses: zur Dämmerung
auf leisen Pfoten
vertraut dagegen
des Blässhuhns Wort: kläglich nur
für Menschenohren
der Ameisen Wort
wird immer fremd mir bleiben:
emsig zwar, doch stumm
Frieden am See
Die Sonne hat die dunklen Wolken
mit ihrem lichten Gruß verabschiedet.
Am Kiesteich ist es ungewöhnlich ruhig:
Die Zahl der Badegäste ist überschaubar.
Das Wasser wellt gelassen sich ans Ufer
und trägt mich sanft hinaus.
Familie Schwan hält sich vornehm auf Distanz
und Familie Wildschwein schmaust
beglückt – und mich beglückend –
an des Ufers Wegesrand.
meine Worte haben sich verkrochen.
was nur hat sie gestochen? sie fürchten:
ihnen würden die Knochen gebrochen,
man wolle sie lochen oder gar kochen.
ungern lassen sie sich unterjochen.
schon gar in Epochen, wo unsere Herzen
so bang, ach bang nur pochen.
es sind nun schon Wochen, wo
ich nicht gesprochen.
meine Worte und ich:
wir haben uns verkrochen.
Danke, liebe Gerda, Deine Erinnerung an Morgensterns Schneckengedicht hat mich wieder ins Dichten gebracht …
lang hat die Schnecke nachgedacht –
und schließlich hat sie es gemacht:
verlassen hat sie nun ihr schützend‘ Haus
und kriecht und kriecht ganz weit hinaus.
leicht fühlt es sich auf ihrem Rücken an;
sie denkt: fängt jetzt das Leben an?
doch andererseits (ich muss es sagen)
beginnt sie bald doch laut zu klagen.
nackt ist sie jetzt – und heimatlos –
und denkt: was hab ich mir gedacht da bloß?
traurig bin ich,
schau ich aus mir hinaus:
nur Leid, nur Tod
und Krieg und Not –
die Unvernunft hat jetzt die Oberhand;
alles gar scheint außer Rand und Band:
laut spricht nur sie, die Sprache der Gewalt –
kein Raum für Poesie
traurig bin ich,
schau ich in mich herein:
nur Ach, nur Weh
und keine Idee –
die Hilflosigkeit hat jetzt die Oberhand;
gibt es doch nur noch Wand um Wand:
laut spricht nur sie, die Sprache der Angst –
kein Raum für Poesie
weltfremd sei ich, sagen sie; ach, so fremd
bin ich offenbar der Welt schon geworden –
obwohl es doch gerade die Welt ist, die mir
fremd, ja immer fremder wird
und auch im Namen des Rechts
wird aus Unrecht nicht Recht.
doch aus Recht wird Unrecht
im Namen von Unrecht.
Vergangenen Sonntag hatte ich die Gelegenheit, im Staatstheater Wiesbaden das Stück „an grenzen“ von Özlem Özgül Dündar zu sehen – ein Stück, das mit großer sprachlicher Sensibilität nicht nur ein Stück Migrant:innengeschichte in Deutschland beleuchtet, sondern auch der Opfer von rechter Gewalt insgesamt gedenkt – und dabei versucht, Möglichkeiten eines neuen Miteinanders auszuloten. Als Hörpiel ist der Text (wenn auch in einer anderen Fassung) in der WDR-Mediathek abrufbar. Unter dem Eindruck dieses Theaterstücks ist nun mein Text entstanden.
wir sagen ihre Namen
um an sie zu erinnern
wir sagen ihre Namen
um ihrer zu gedenken
wir sagen ihre Namen
um sie uns einzuprägen
wir sagen ihre Namen
um sie in uns zu bewahren
wir sagen ihre Namen
um uns selbst zu ermahnen
wir sagen ihre Namen
um es nie wieder zu vergessen
wir sagen ihre Namen
und wir vergessen nicht die Namenlosen
wir sagen ihre Namen
und wir vergessen nicht den Ort und die Zeit
wir sagen ihre Namen
wir sagen ihre Namen
ach, hätten wir doch ihre Namen
noch zu ihren Lebzeiten
schon zu ihnen gesagt
jetzt ist der Mai
schon bald vorbei: o, Mai!
wo bleibt nur das Juchei?
ich bekenne es frei:
mein Herz ist schwer wie Blei
und in meinem Hals steckt ein Schrei –
der Mai ist mir einerlei
wobei: was soll die Eierei?
Mai bleibt Mai!