mein ungeschriebenes Buch

ein unbeschriebenes Blatt
ist die erste Seite
meines ungeschriebenen Buches

die übrigen Seiten bleiben leer
das Buch bleibt ungebunden
ohne Titel

in diesem Buch steht alles
was es zu sagen gibt

und kein Wort darüber
hinaus

Zu diesem Text habe ich inzwischen ein kleines Buchobjekt gemacht, schaut es Euch hier mal an.

12 thoughts on “mein ungeschriebenes Buch

  1. Ich finde diesen Text so unbeschreiblich traurig! Gar nicht so sehr wegen des fehlenden Buches (man denke an die Fluten jährlicher Neuerscheinungen). Doch die totale Negation von Sagbarem lässt mich sprachlos vor den Worten sitzen, fassungslos.
    Ein einziges Fragezeichen schon könnte ein rettender Strohhalm sein … ich biege mir eins.

    • Liebe Ule, kennst du das nicht, das Bedürfnis nach Stille im Meer der pausenlosen Geschwätzigkeit all derer, die glauben, den Buchmarkt mit einem weiteren Buch beglücken zu müssen? Du weißt, ich liebe das Wort, aber es hat natürlich auch diese fatale Seite von Überflüssigkeit und Zuviel. Es geht nicht um die Negation des Sagbaren, sondern um die Infragestellung der weit verbreiteten Annahme, das alles gesagt werden muss. Wort und Schweigen gehören zusammen, insbesondere in Gedichten, die auszuloten versuchen, wie viel man mit wie wenig Wort zu sagen vermag. Ich hoffe, diese Antwort macht dir Dein Fragezeichen überflüssig.

      • Doch, das Bedürfnis nach Stille habe ich bis zu einem Grade, der mich manchmal an meiner Sozialtauglichkeit zweifeln lässt. Und mein Versuch, so weit wie es irgend geht, überflüssige Worte zu tilgen bis zur Unverständlichkeit, die dir gelegentlich zu schaffen machte, ist auch recht ausgeprägt.
        Aber:
        „in diesem Buch steht alles
        was es zu sagen gibt“
        bedeutet für mich sehr wohl die Negation des Sagbaren/Sagenswerten, da ja nichts in dem von dir verdichteten Buch steht.

        • Dieser Satz zielt für mich nicht auf das Sagbare, also was man überhaupt sagen kann (so verstehst es Du, denke ich, weshalb Dich der Text so traurig zurücklässt), sondern darauf, was man – so in typisch menschlicher Selbstüberhöhung – glaubt, unbedingt äußern zu müssen (und wobei man noch annimmt, dass die Welt darauf schon lange gewartet hat); dieser Satz entspringt eben einfach meinem tiefen, regelmäßig wiederkehrenden Zweifel daran, ob ich überhaupt etwas Substantielles zu sagen habe, was eine literarische, noch dazu poetische Tätigkeit rechtfertigt. Wichtig ist für mich dabei der Unterschied zwischen dem „unbeschriebenen Blatt“ und den „leeren Seiten“ – es genügt eben ein (!) Blatt, eine (!) Seite (die „erste“), und diese Seite ist eben nicht leer, sondern lediglich „unbeschrieben“ und damit auf eine ihr eigene Weise ‚voll‘ (und noch immer unschuldig) – es ist also ein Plädoyer gegen geschwätzige Bücher und für substantielle, weil absolut reduktionistische Poesie, die kein ‚Wort verliert‘, die sich davor hütet, ein Wort ‚zuviel‘ zu sagen – dass das Gedicht dies nun aber doch wieder in Worten sagt, gehört zu den Grundparadoxien, aus denen ich nicht raus komme. Weiß nicht, ob Dir das jetzt deutlicher gemacht hat, was ich meine – ich tu mich schwer, das, was sich da in mir so dichtet, in rationale Interpretationen zu überführen, und vermutlich ist die Dichterin ihre schlechteste Interpretin.
          Entschuldige die etwas zeitverzögerte Antwort, aber 1. musste ich nachdenken und 2. noch ein wenig meinen Alltag managen 🙂 .

          • Ja, ich habe lesend anders gezielt als du schreibend. Die verbreitete Geschwätzigkeit des “Das wurde schon häufig gesagt, nur noch nicht von mir” stört mich auch oft, obwohl ich mich nicht davon freisprechen kann, mich daran auch selbst zu beteiligen.
            Die Zweifel, ob wir etwas zu sagen haben (worauf die Welt gewartet hat 😊), ob es der Mühe wert ist, ob es gut genug ist, ob es knapp und gut genug formuliert ist … haben bestimmt alle Menschen, die ihr Tun auch nur ein wenig überdenken. Ob das nun ein Trost ist?
            Übrigens: bisher unerwähnt, darum aber nicht weniger wahr: dein Spiel mit dem “unbeschriebene Blatt”, dem Unschuldsweiß und der Angst des Autors vor der leeren Seite (letzteres von mir hineininterpretiert, ich weiß) finde ich ziemlich genial, das gehört zu deinen Spezialitäten, die ich liebe – und die ich woanders nicht in der Form und Qualität finde wie bei dir. Soviel zu der Grundfrage nach deiner Berechtigung, die Welt mit Texten zu behelligen 😊.

  2. Wir schreiben tagtäglich an unserem Buch des Lebens wie es Hans Jonas so schön sagt.
    Jede/r macht das, ob mit Worten oder Buchstaben, egal … es wird geschrieben, so oder so, und zwar täglich …
    Herzlich, Lu

  3. Muss man alles Sagbare aufschreiben? Die Kelten haben z.B. auch absolut nichts Schriftliches hinterlassen. Die Einzigen, die damit ein Problem haben, sind wir, weil wir uns schwer tun, ihre Kultur jetzt im Nachhinein zu „bewerten“.

  4. Mich tröstet dieses Gedicht, denn das Gesagte ist von großer Bedeutung! Nämlich für den Schreibenden.
    Liebe Grüße
    Gabriele (derzeit mit einem kleinen Freizeitguthaben)

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