Und gleich noch eine zweite Variante zu Myriades Schreibübung.
sie öffnete die Tür:
sie hatte gehen wollen
und blieb dann doch
ein Leben lang
zwischen Tür
und Angel
vorbei gingen Zeit
und Leben. am Endeschloss sich die Tür*
fiel die Tür ins Schloss:
dann ging sie
*siehe Kommentare 😉
Sehr traurig und wahrscheinlich immer noch sehr häufig: ein ganzes Leben, das in zehn Zeilen Platz findet, ein ganzes unglückliches Leben. Dieser Text trifft einen Nerv in mir, aber vielleicht ist er von einer anderen Warte aus betrachtet gar nicht so traurig. Die Rezeption gerade von lyrischen Texten ist ja sehr individuell.
Herzlichen Dank und ganz liebe Grüße.
Das “Zwischen” zwischen Deinen beiden Sätzen hat mich hier gereizt: der Contrapunctus zur ‘geöffneten Tür’ und dem Aufbruch, der im ‘Gehen’ liegen kann, ein Leben auf der Schwelle des Lebens. Vieles ist hier eingeflossen, Eigenes, Fremdes, Gelesenes, Erlebtes …
Gerade in der Andeutung und der Auslassung zeigt sich so viel Hoffnung, so viel Geduld und Sanftheit, dass der Abschied “dann ging sie” mich traurig zurücklässt. Hat mich sehr berührt, habe es nochmal lesen müssen, nach meinem ersten Besuch.
Danke für Deinen sehr sensiblen Kommentar. Myriades Sätze haben viele verschiedene Erinnerungen bei mir angezapft: erlebte, erzählte, gelesene, die sich alle hier in diesem kleinen Text kondensiert haben. Und es freut mich, dass er offenbar funktioniert.
Unendlich traurig und doch voller Hoffnung. Was mich am zukünftigen Schicksal der “Sie” zweifeln lässt, ist die Tatsache, dass nicht sie die Tür schließt, sondern diese sich selbst.
Ich vermute, dieses “Gehen” ist doch ein sehr endgültiges … Hoffnung? Ja, vielleicht doch, obwohl … Was mir jetzt noch ein- bzw. beim.Wiederlesen auffällt: Vielleicht hätte ich anders formulieren sollen: die Tür fällt ins Schloss (mit der Korrespondenz zur Türangel)?
Ja, die Korrespondenz wäre gut. Änderte aber nichts daran, dass “ihre” aktive Beteiligung am Schließen der Tür unsichtbar bliebe. Im Interesse literarischer Offenheit sicher stärker, aber nicht im Hinblick auf eine /”ihre” selbstbewusste Zukunft.
Eine “selbstbewusste Zukunft” sehe ich für sie nicht; insofern wird sie es kaum sein, die die Tür schließt – das war schon so beabsichtigt (siehe auch die Antwort auf Myriade).
So habe ich vermutet – du gehörst nicht zu denen, die viel Unbeabsichtigtes schreiben, nicht wahr? Du weißt, was du tust.
Hm, nicht immer … aber ich bemühe mich 🤣
Der feine Schliff ist unübersehbar, wirkt aber trotzdem nicht wie Arbeit.
Erstaunlich wie stark dieses “ein Leben lang zwischen Tür und Angel” ist. Das ist ja ein sehr häufig gebrauchter Ausdruck, aber hier ist er frisch und stark als wäre er ganz neu …
Diese Variante gefällt mir besser – es ist da Alpha bis Omega Thema, das mich anspricht.
Auf Friedhöfen stehen oft auf teuren, alten Grabsteinen Zwei- oder Vierzeiler, die das Leben kurz umschreiben, um den Verstorbenen zu gedenken. An solche erinnert mich deine Lyrik.
LG Charis 🙂
Ja, ich mag diese Variante auch lieber. Danke für Deinen Besuch und Kommentar.