Eine Rose ist eine Tulpe

für J. M.

Eine Rose ist eine Tulpe.
Das wäre ein schöner Vers für ein Gedicht,
aber schade: Er reimt sich nicht!
Das ist des Dichters Fluch.

Doch bleibt uns ein zweiter Versuch:
Eine Rose ist eine Narzisse,
so der Dichter spricht – doch wisse:
Eine Narzisse ist eine Rose,
damit geht jede Botanik in die Hose.

Nur in der Lyrik ist alles erlaubt:
Da ist selbst ein Haus belaubt,
und ein Mensch ist ein Tier,
und ein Lamm ist ein Stier.
So hat eine jede Systematik
in der Lyrik ihre eigene Logik.

Nur die Tulpe hat keinen Ort,
reimlos steht sie dort,
ganz für sich allein.
Und dennoch kann in der Lyrik auch die Rose eine Tulpe sein.

Was heißt es?

Was heißt es,
wenn man sagt:
„Du bist mein Alles.“?

Heißt das: Du bist mein Tisch, mein Stuhl, mein Bett?
Mein Ofen, mein Herd?
Heißt das: Du bist mein Himmel, mein Wasser, meine Erde?
Meine Welt, mein Universum?
Heißt das: Du bist meine Hand, mein Fuß, mein Kopf?
Mein Hemd, mein Kleid, mein Schuh?

Heißt das: Du bist meine Luft zum Atmen,
mein Fenster zur Welt,
mein täglicher Weg?

Heißt das: Du bist der Motor, der mich antreibt?
Die Energie, die mich durchströmt?
Die Kraft, die mich trägt?
Der Geist, der mich erleuchtet?

Und heißt das dann nicht auch: Du bist mein Lachen, mein Weinen?
Du bist mein Glück, mein Unglück?
Du bist meine Liebe, mein Hass?
Du bist mein Leben, mein Tod?

Oder ist das einfach nur eine dumme Redewendung?

Was ich Dir sein kann

Ich weiß:
Ich kann Dir kein Hafen sein,
aber vielleicht
ein Steg
in der Wildnis.

Ich weiß:
Ich kann Dir kein Heim sein,
aber vielleicht
eine Schutzhütte
in den Bergen.

Ich weiß:
Ich kann Dir keine Heimat sein,
aber vielleicht
ein Felsvorsprung
im weiten Meer.

Ich weiß:
Ich kann Dir kein Strohhalm sein,
der Dich vor dem Ertrinken rettet,
aber vielleicht
gemeinsam mit Dir untergehen.